Dienstag, 15. Juli 2008

Sitten und Unsitten: beliebte Hochzeitsklassiker

Ave, sponsa
"Wir möchten so gerne das Ave Maria hören - das ist unser Lied!"
So ungefähr 80% aller heiratswilligen Paare. Und nicht nur das: Ich habe das universell einzusetzende Schubert-Lied in ein und demselben Jahr auf einer Hochzeit, einer Taufe und einer Beerdigung jeweils auf besonderen Wunsch zum Besten gegeben.

Das Ave Maria ("das klassische halt") gibt es ja auch gar nicht. "Ave Maria" ist ein vielfach vertonter katholischer Mariengruß, den ich persönlich etwas bußfreudig finde ("ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae..?").
Schuberts Lied ("Ellens dritter Gesang") ist kein geistliches Werk, sondern ein Klavierlied zu einem Walter-Scott-Gedicht, in dem verdächtig viel von Jungfrauen die Rede ist. Es gibt Fassungen, denen der lateinische Text untergelegt ist, diese scheitern an der Tatsache, daß der sogar noch auf die Melodie von Hänschen Klein besser paßt als auf Schubert (plena endbetont? - und das ist erst der Anfang):

Dann doch lieber auf deutsch. Dicht gefolgt (und oft verwechselt) auf der ewigen Bestenliste folgt das Bach/Gounod-"Ave-Maria": Bachs strenges Klavierpräludium bekam von Gounod zuerst eine Vokalise verpaßt und diese wurde dann mit dem lateinischen Text versehen. Die Textverteilung ist zwar ein bißchen willkürlich, aber wenigstens passen die Betonungen einigermaßen. Im Übrigen gibt es ja auch noch unzählige andere originale Ave-Maria-Vertonungen, z. B. einige hübsche von Saint-Saëns. Oder für die Kreativen unter uns:

Maaßgeschneiderte nuptial packages
...zusammengestellt aus Amazon-Hochzeits-CDs - z. B. diese (haben die bei Naxos eigentlich gar keinen Anstand?), diese oder diese (die Deutsche Grammophon ist auch nicht besser).

1) die Goth-Version. Bräute bitte in Schwarz mit Krähenschwarm.
Zum Einzug: Bach, d-moll-Toccata. Zu der gehört übrigens eigentlich noch eine heftige Fuge (zahlt dem Organisten einen Aufschlag), ohne die hängt das Stück etwas schief in der Gegend.
Vor der Predigt: Orff, "O fortuna!" (das meinen die aber nicht ernst??).
Zum Auszug: Promenade aus Bilder einer Ausstellung (Mussorgsky).
Meine Ergänzungsvorschläge: Auftritt des Großinquisitors, Eine Nacht auf dem Kahlen Berg (auch Mussorgsky, vielleicht doch eher für den Morgen danach). Und "Trockene Blumen" statt "Ave Maria". Ist schließlich auch von Schubert.

2) Die Opernversion: Ridi, Pagliaccio!
Auch von der sündigen Opernbühne sind einige Stücke in die Kirche diffundiert; leider in den seltensten Fällen aus Opern, die mit einer stabilen und moralisch einwandfreien Beziehung enden (Zauberflöte? Figaros Hochzeit? hmmm... die Walküre...?).
Zum Einzug: Brautchor aus Lohengrin (Wagner). In der Oper gefolgt von einer desaströsen Hochzeitsnacht, der Bräutigam segelt unbefriedigt von dannen, nachdem die Braut ihn irgendwann enerviert gefragt hat, welchen Geschlechts er eigentlich sei. Verheißungsvoll.
Vor der Predigt: Entr'acte aus Carmen (Bizet). Eine leichtlebige Dame klaut einer anderen den Mann und wird von selbigem erdolcht. Oder die Méditation aus Thaïs (Massenet), wo eine weitere Halbweltdame ihr sündiges Leben überdenkt. Obendrein gut geeignet für Bräute, die es sich anders überlegen.
Zum Rausschunkeln: Barcarole aus Hoffmanns Erzählungen: nö, da verliere sogar ich vor lauter gescheiterten Damen den Überblick.
Meine Ergänzung: noch ein Ave Maria. Diesmal aus "Otello" von Verdi - "Have you pray'd tonight, Desdemona?" Shakespeare und Kontrabaßsolo kann man eigentlich kaum noch überbieten - und die Dame wird anmutig im Ehebett mit den Kissen erstickt. Gute Nacht!

3) Denn alles Fleisch, es ist wie Gras...
Nach dem Motto "...die Gemeinde wird schon kein Latein können" findet man manchmal Morbiditäten im Programm, die mir den Unterkiefer bis auf Kniehöhe purzeln lassen (soll ja gut zum Singen sein).
Zum Einzug: Ave verum (so'n netter kleiner Mozart). Wenn aus der durchbohrten Seite Wasser und Blut fließen, rührt das sogar die Schwiegermutter.
Zur Predigt: Pie Jesu aus Faurés Requiem - ewige Ruhe möchte man ja mancher Verbindung wünschen!
Daß auch deutscher Text total egal sein kann, zeigt folgendes Youtube-Beispiel ("Jerusalem" aus Mendelssohns Paulus):
Jerusalem, die du tötest die Propheten, die du steinigest, die zu dir gesandt. - $&%§!??? Gott sei Dank hallt es in der Kirche und man versteht nicht viel.
Zum Auszug fällt mir gerade nichts Vernünftiges ein: vielleicht Liszts Totentanz - so als hübsches Lied ohne Worte?

Genug gelästert. Ich poste demnächst mal einige vernünftige Vorschläge.

3 Kommentare:

Holly Katz hat gesagt…

Super, ich bin zu blöd um ordentlich zu kommentieren. Siehe unten.

DaWuzzzz hat gesagt…

Das absolute Highlight in dieser Kategorie:
zu einer Beerdigung das Gounodsche Ave Maria auf Quetschkommode (Akkordeon) begleitet, der Quetschkommodenspieler singt selber (zu tief). Das hat mich zu (Schmerzens-)Tränen gerührt. Erlebt in der Hlg-Geist-Kirche Reichenau.

avocadohead hat gesagt…

Aber wieso soll ein Ave Maria nicht zur Beerdigung passen?
Sancta Maria, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Paßt.
OK, die Quetschkommode. Yup. Sei froh, daß Du Bach nicht selbst vergewaltigen mußtest.
Amen.