Dienstag, 22. Dezember 2009

Kampfknutschen im Hochhaus

Heute wieder bei Arte im Programm: Oper an unwirtlichen Orten. Das Stadttheater Bern will nicht hinter Zürich zurückstehen und produziert La Bohème en banlieue.
Alles in allem handelte es sich um ein sehr ordentliches Schweizer Hochhaus, mit gediegenem Waschkeller, Panoramafenstern und Vorgarten. Hätte man das Stück in der Pariser Banlieue oder in der Platte gespielt, wäre die Inszenierung vielleicht doch durch den gelegentlichen spontanen Pflasterstein oder einen dezenten Molotovcocktail aufgepeppt worden, hier gab es höflichen Applaus, und Hausbewohner, die den Sängern brav die Fertigpizza in den Kühlschrank räumten. Der einsame Graffitti-tag an der Betonwand wirkt, als habe man ihn extra für die Oper aufsprühen lassen. Für das Einkaufszentrum im 2. Akt zeichnete übrigens Daniel Libeskind verantwortlich.

Rodolfo beim ungelenken Grimassenschneiden während Mi chiamano Mimì zuzuschauen, war amüsant (selten so gelacht bei der Arie), offensichtlich war das Stück seiner Libido deutlich zu lang, sie gingen sich auch relativ unverzüglich an die  -äh-  Oberbekleidung. Man bot alles in allem eine solide Sängerleistung, insbesondere in den beiden letzten Akten. Könnte sein, daß sich das gute Berner Stadttheater da etwas aufgepeppt hat…

Insgesamt schien das Konzept nicht schlecht aufzugehen, vielleicht auch, weil es trotz Liveeinspielung mit gut koordinierter Zuschauerbeteiligung so offensichtlich ein Fernsehfilm war, bei dem anständiges Regietheater dem technischen Aufwand vorgezogen wurde. Zwischendurch wurden bodenständige Anwohner und niedliche Kinder mit Zahnlücken interviewt, um die Umbaupausen zu überbrücken, das war zum Teil etwas schmerzhaft. 
In der Mall war das Orchester vor McDoof postiert, praktisch, dann kann man seine McNuggets schon während der Oper organisieren und muß nicht immer an den Konstanzer Bahnhof fahren.
Der Bus, der die tote Mimi wegfährt ("Endstation", haben die unser Blog gelesen?),  ist ordentlich-umweltbewußt mit Biogas betrieben. Manchmal muß man die Schweiz einfach lieben.

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