Sonntag, 9. November 2008

الاُبراالمصرية


Meine bisherigen Begegnungen mit dem Kairoer Opernhaus waren ja eher weniger erbaulich.

Da war zuerst das Ballett „Odysseus, Hero of Troy“, ein modernes Stück eines Italieners, wenn ich mich recht erinnere. Die Musik kam weitestgehend vom Band (und das war auch gut so, denn die wenigen Gesangspassagen, die live performed wurden, tun mir heute noch in den Ohren weh), dafür war der Tanz umso ... echter? Nicht, dass ich etwas von Tanz verstehen würde ... wenn allerdings die Ballerina bei der Hebefigur unsanft zu Boden fällt und es hin und wieder zu außerplanmäßigen Zusammenstößen kommt, kapiere auch ich, dass etwas schief gelaufen ist. Der russische Solisten-Import hingegen war – in meinen Laienaugen – ganz gut, soviel muss man ihm zugestehen.


Mein zweiter Besuch im Opernhaus übertraf dieses Mini-Desaster bei Weitem. Zu Gast war der deutsche Geiger Michael Jelden, der wohl vor einigen Jahr(zehnt)en als großes Wunderkind galt. Anders zumindest kann ich mir nicht erklären, wie er an seine Geige gekommen ist. Die soll nämlich einmal Paganini gehört haben, klingt wunderschön (was leider eher selten offenbar wurde) und ist auch optisch besonders ... mit einem geschnitzten Kopf anstelle der Schnecke und dem Bild einer Frau auf den Boden gemalt. Wie dem auch sei, Jelden scheint sich als legitimen Nachfolger Paganinis zu betrachten, und so spielte er – nach dem obligatorischen Bach zum Warmspielen – auch fast ausschließlich Paganini und dergleichen ... ich fühlte mich eher unangenehm an mein eigenes Cellospiel erinnert, denn irgendwie wollte das Stück immer schneller als die Finger. Seine anscheinende Vorliebe für konstante Temposteigerungen war dem nicht gerade zuträglich. Zur Intonation äußere ich mich lieber erst gar nicht, da muss ich mich aufregen ... Die irritierten Blicke der sehr guten japanischen Pianistin haben uns allerdings einigermaßen amüsiert und die Laune gerettet :)

Wie dem Programmheft zu entnehmen war, ist Jelden neben Paganini-Imitator auch noch Linguist (vielleicht hätte er doch lieber die Läufe über sollen, statt georgische Wörterbücher zu schreiben?) und Musikwissenschaftler. Als Letzterer hat er im Laufe der Zeit nicht nur einige Stücke europäischer Komponisten wiederentdeckt, sondern auch in Fernost „gegraben“. Resultat dieser Ausgrabungen war der einzige Lichtblick des Abends, für den sich die 10 Pfund Eintritt (etwa 1,30 Euro) dann doch gelohnt haben. „Sunshine over Tashkorgan“ bedient sich eines bekannten Volksliedes der hauptsächlich muslimischen chinesisch-pakistanischen Grenzstadt Tashkorgan – ein zugegeben furchtbar kitschiger, aber dennoch wunderschöner Mix europäischer, chinesischer und arabischer Melodien und Klänge.

Bleibt die Frage, woher ich das alles weiss (nein, das Programmheft hat nicht geholfen, und Wikipedia auch nicht ... ). Da im großen Saal nebenan der libanesische Superstar Elissa ein Konzert gab, waren wir ein eher überschaubares Publikum. Für Jelden Anlass, das Konzert etwas „persönlicher“ zu gestalten. Im Resultat war das Ganze mehr eine musikhistorische und -theoretische Vorlesung mit Klangbeispielen. Nach 3 Stunden saßen wir immer noch im Saal. Nun gut.

Ich nehme mit: Witze reißen in der Fremdsprache ist nur für ganz Fortgeschrittene. Ich nehme außerdem mit: Wenn mans nicht durch schafft durch den Paganini, und mal ne Pause braucht, dann eignen sich besonders gut die hohen Stellen, die ein bisschen an Vogelgezwitscher erinnern. Da kann man dann nämlich kurz abbrechen, ein bisschen zwitschern und andere Tierstimmen nachahmen – wenn man Glück hat, lacht das Publikum auch – und wenn man sich erholt hat, dann spielt man einfach weiter, und keiner hat's gemerkt ...

Noch Fragen? Alles in allem, ein Traum in roten Seidenrüschen ... jawohl, er, nicht die Pianistin.


Mit entsprechend gedämpften Erwartungen betrat ich also gestern Abend erneut das Opernhaus, um mir endlich einmal das Kairoer Symphonie-Orchester zu Gemüte zu führen. Auf dem Programm standen Schönbergs Opus 4 „Verklärte Nacht“ und Schuberts fünfte Symphonie. Und wie positiv ich überrascht wurde! Es war nicht spektakulär, aber nett und solide. In den schwierigen Passagen des Schönberg trat dann doch das ein oder andere Problem auf. Insbesondere der Solocellist spielte ab der vierten Lage aufwärts nach dem Ein-Finger-Such-System – mäßig erfolgreich –, dafür habe ich den schönsten Solobratschenton seit sehr sehr langer Zeit gehört. Nach der Pause war ich dann leicht irritiert. Wieso spielten sie plötzlich Mozart, so ganz ohne Ankündigung? Ach ja, ich vergaß, das klingt nur so wie Mozart, ist aber gar keiner! Der „falsche Mozart“ auf jeden Fall ... lief ;) Vor allem die Flötistin hat ihre Sache ganz hervorragend gemacht.


Ich glaube, ich kann einen erneuten Besuch riskieren ;)

Sonntag, 2. November 2008

Nie wieder Galerie! Radu Lupu und Zinman in Zürich

Ich möchte an dieser Stelle meines ehemaligen Kollegen S gedenken. S kam aus down under, kommunizierte vorwiegend über four-letter-words, trug das ganze Jahr Shorts und wusch seine Wäsche nur bei Heimatbesuchen. Dazu war er offensichtlich wasserscheu. Seine Rugbyschuhe lüftete S zur Freude des Lehrstuhls im Gang aus.
Gestern fuhr das Roktett nach Zürich in die -äh - Turnhalle, wo das dazugehörige Orchester "Rugby" von Honegger und einiges anderes spielte.
Bei näherem Hinsehen war es doch die Ton- und nicht die Turnhalle, man gedachte auch nicht unseres charmanten Australiers, sondern des 150jährigen Uni-Jubiläums (in Konstanz spielt bei solchen Anlässen ganz schnöde das Uniorchester). Die für Studenten recht luxuriösen Galerieplätze erwiesen sich leider als Fehlgriff.
Der Große Saal der Tonhalle hat eine klare, aber relativ weiche Akustik (man vergleiche Zinmans leichtfüßigen Beethoven-Zyklus bei Arte Nova). In den hinteren Reihen der Galerie wird das leider zu einer Überdosis Weichspüler, die alles wuchtig Akzentuierte gnadenlos plattbügelt und seines Fundaments beraubt. Noch dazu befanden sich Streicher und Solisten unterhalb des Galeriesimses und waren hinten im Saal insbesondere im höheren Register (von den Bratschen aufwärts) kaum zu hören. Die sechs hochpostierten Kontrabässe retteten immerhin die Baßgruppe ein wenig. Die asthmatische Belüftung erging sich dazu in einem nervenden Ostinato.

Nach Honneggers sportlicher Inspiration spielte man Hindemiths "Mathis der Maler"-Symphonie, die am besten durch das Grünewaldsche Programm selbst illustriert wird. Das Engelskonzert begann dementsprechend auch mit himmlischen Bläserakkorden, ein sinnlicher Genuß, den man mit Hindemith ("witzig, aber anstrengend") normalerweise nicht in Verbindung bringen würde. Kontrapunktische Passagen in den Streichern klangen leicht und beschwingt, darüber schwebte der Bläser-Cantus ("Es sungen drei Engel"). Ähnlich, diesmal gedeckt lyrisch, wirkte die Grablegung.
Bei der Versuchung des Heiligen Antonius schlug die Akustik zu - statt der wüsten Triller- und Galopporgie mit ordinären Bläserakzenten kam bei uns allerhöchstens ein Versucherli an - "Wir plagen Dich - ein bißchen..."
Zinman dirigierte ruhig und statisch mit sparsamen, körpernahen Handbewegungen - irgendwie vergaß ich immer, daß da überhaupt jemand vorne stand und das Stöckchen schwang.


"Das gegenwärtige Concert war nun wieder ein solches, in dem eine neue Composition zu Grabe getragen wurde - das Concert des Herrn Johannes Brahms." Die berüchtigte Kritik der Leipziger Zweitaufführung von Brahms' Erstem erschien uns Brahmsjüngern immer als ein Sakrileg - aber vielleicht saß der arme Kritiker ja auch nur auf der Galerie.
Wer das Stück kennt, erwartet einen monumental-brachialen Einstieg - was hinten ankam, war dürr, labbrig und ohne Bodenhaftung. Die Trillerkaskaden wirkten nach dem Hindemith blaß und strukturlos.
Radu Lupu lehnte sich gemütlich in seinen Stuhl zurück wie weiland Papa Brahms und hieb in die Tasten - im ersten Satz leider nicht immer ganz treffsicher. Sein grundsätzlich weicher Anschlag mißfiel den Zimerman-Aficionados unter uns, dies kombiniert mit der ungünstigen Akustik ließ insbesondere die rechte Hand völlig untergehen.
Was man nicht der Akustik ankreiden konnte, war die Uneinigkeit im Tempo. Es schien, als habe das Ensemble sein Tempo giusto nicht gefunden, man schlich sich etwas disparat und wacklig in die Einsätze. Wer Lupu mit dem Orchester interagieren, mit dem Kopf wackeln und teilweise sogar Einsätze geben sah, mag vermuten, daß es Differenzen zwischen Dirigent und Solist gab.
Der zweite Satz war besser, allerdings in einem schläfrig-langsamen Tempo, in dem vielleicht nicht nur dem Publikum die Augen zufielen - die Anschlüsse schleppten, und ein Oboeneinsatz war offensichtlich eine Hommage an Hindemiths Spielanweisung "Hier hat der Oboer den Einsatz verpaßt. Sehr frei."
Im dritten Satz, einem behäbigen Rondo, wollte bei uns keine rechte Lust mehr aufkommen.
Wie schrieb Brahms: "Zum Schluß versuchten drei Hände, langsam in einander zu fallen..." - der Rest des Saals war gnädiger.
Ein stellenweise etwas trüber Abend - vielleicht sponsort die Tonhalle uns das nächste Mal Parkettkarten, dann bloggen wir auch netter ;-)