Dienstag, 22. Dezember 2009

Streckenweise geruhsam

Ach, Ihr lieben Würzburger! Müßt Ihr Euch zum Husten, Schwatzen und Türenknallen ausgerechnet den Variationensatz des Kaiserquartetts aussuchen!
Insbesondere, da er vom Leipziger Streichquartett ausgesprochen schön musiziert wurde: schlank und gläsern, dadurch gelegentlich fast dissonant, ohne falsch zu sein - bewegt, aber nicht hastig.
Alles in allem war die an diesem Ort vielfach beschworene Rasanz wohldosiert eingesetzt: meist nur ein einzelner virtuoser Satz, typischerweise das Finale, ansonsten waren die Tempi geerdet, und fühlten sich schlicht richtig an, dem Charakter des Einzelsatzes angemessen.
Neben dem Haydn standen noch Mendelssohn op. 13 und Schumann op. 41/3 auf dem Programm, was auf den ersten Blick gefällig und nicht sehr ausgesucht wirkte. Es spricht für die Leipziger, wie sie die Bezüge zwischen den Stücken in Szene setzten: im Haydn schlugen sie mit fast Beethovenscher Dynamik einen Bogen in Richtung Romantik, die Finalreminiszenz aus dem Kopfsatz im Mendelssohn klang nach Schumanns Kunstgriffen, während die punktierten Geigenfiguren und bordunähnlichen Bässe in Schumanns Finale zu Haydn zurückführten.

Überhaupt der Schumann: Schumanns Quartette machen es dem Hörer nicht leicht, man verliert gerne den Überblick über die Satzstruktur und wünscht sich generell einen roten Faden in all dem romantischen Überschwang. Nicht, daß Schumanns ausladendes Werk, das die ganze 2. Hälfte füllte, bei den Leipzigern methodisch geklungen hätte; der Zuhörer ließ nur das Programmheft sinken, staunte und genoß: die symphonische Klangfülle, die im Haydn gottseidank und im Mendelssohn leider noch ein bißchen fehlte, die himmlischen Längen im langsamen Satz.

"Eigentlich hatten wir an dieser Stelle einen weihnachtlichen Choral vorbereitet, aber ich habe die Noten vergessen. Also spielen wir etwas, was Sie vielleicht schon von uns kennen..."

Immerhin verstand das Publikum, daß dieser schlicht-bewegenden Zugabe nun wirklich nichts hinzuzufügen war, man applaudierte dezent und ging.

PS: Ich höre die Herren im Februar in der Carnegie Hall.

Kampfknutschen im Hochhaus

Heute wieder bei Arte im Programm: Oper an unwirtlichen Orten. Das Stadttheater Bern will nicht hinter Zürich zurückstehen und produziert La Bohème en banlieue.
Alles in allem handelte es sich um ein sehr ordentliches Schweizer Hochhaus, mit gediegenem Waschkeller, Panoramafenstern und Vorgarten. Hätte man das Stück in der Pariser Banlieue oder in der Platte gespielt, wäre die Inszenierung vielleicht doch durch den gelegentlichen spontanen Pflasterstein oder einen dezenten Molotovcocktail aufgepeppt worden, hier gab es höflichen Applaus, und Hausbewohner, die den Sängern brav die Fertigpizza in den Kühlschrank räumten. Der einsame Graffitti-tag an der Betonwand wirkt, als habe man ihn extra für die Oper aufsprühen lassen. Für das Einkaufszentrum im 2. Akt zeichnete übrigens Daniel Libeskind verantwortlich.

Rodolfo beim ungelenken Grimassenschneiden während Mi chiamano Mimì zuzuschauen, war amüsant (selten so gelacht bei der Arie), offensichtlich war das Stück seiner Libido deutlich zu lang, sie gingen sich auch relativ unverzüglich an die  -äh-  Oberbekleidung. Man bot alles in allem eine solide Sängerleistung, insbesondere in den beiden letzten Akten. Könnte sein, daß sich das gute Berner Stadttheater da etwas aufgepeppt hat…

Insgesamt schien das Konzept nicht schlecht aufzugehen, vielleicht auch, weil es trotz Liveeinspielung mit gut koordinierter Zuschauerbeteiligung so offensichtlich ein Fernsehfilm war, bei dem anständiges Regietheater dem technischen Aufwand vorgezogen wurde. Zwischendurch wurden bodenständige Anwohner und niedliche Kinder mit Zahnlücken interviewt, um die Umbaupausen zu überbrücken, das war zum Teil etwas schmerzhaft. 
In der Mall war das Orchester vor McDoof postiert, praktisch, dann kann man seine McNuggets schon während der Oper organisieren und muß nicht immer an den Konstanzer Bahnhof fahren.
Der Bus, der die tote Mimi wegfährt ("Endstation", haben die unser Blog gelesen?),  ist ordentlich-umweltbewußt mit Biogas betrieben. Manchmal muß man die Schweiz einfach lieben.

Montag, 7. Dezember 2009

München ist auch nicht schlecht

Wer in der Provinz wohnt, muß sich zu helfen wissen. Gut, wenn man aus alten Zeiten noch haufenweise kulturbeflissene Freunde in diversen Großstädten mit ausreichend Gästesofas hat. Am letzten Donnerstag fanden wir uns also im Münchner Herkulessaal zum Stelldichein mit dem BR-Orchester unter David Robertson und Vadim Repin ein. Das Programm war tendenziell ohrenfreundlich, aber doch mutiger als die ewige Würzburger Mozart-Mendelssohn-Leier: das Brahms-Konzert op. 77, in der zweiten Hälfte dann Ravels Valses nobles et sentimentales und Skrjabins Poème de l'extase.
Auf die Gefahr hin, als analfixierter Akustiker verschrien zu sein, erst zum Saal: Trotz der sehr ähnlichen Bauweise hat mich der Herkulessaal deutlich mehr überzeugt als der große Saal der Tonhalle: Auf der Galerie, Mitte links, relativ nah an den ersten Geigen, war der Klang ausgeglichen und transparent, dabei aber durchaus nicht trocken. Die Höhen waren freilich ziemlich schrill. Schade um die lyrischen Partien im Brahms.
Der ist  jedem Zuhörer sattsam bekannt - im Konzert hatte ich ihn allerdings noch nicht gehört. Die Interpretation war durchaus sportlich, insbesondere im rubatofreien Einstieg der Sologeige im ersten Satz. Repin, der nur am Anfang noch etwas schlampte, beeindruckte in der virtuosen Attacke, die lyrischen Passagen waren mir persönlich etwas zu offen, zu wenig intim. Vielleicht störten da auch die spitz übertragenen Höhen.
Mitreißend war das Rondo: da stolperten die Synkopen und rhythmischen Schiebungen in den tanzenden Dreiachteltakt, daß es eine Freude war, kleine Details wie die Streicherschnulpen in der Stretta bekamen gestaltende Kraft und Repins fröhlich-kräftiges Zupacken sorgte für Spaß auf und vor der Bühne.
Nach der Pause machten sie mit Ravel etwas gedämpfter weiter. Das aufgestockte Orchester glänzte jetzt solistisch und spielte wacker und nicht allzu sentimental, aber zum Walzer hätte man sich an dieser Stelle, wenn nicht Kaffee und Sachertorte, doch grünen Tee und ein, zwei Petit fours zur Stärkung gewünscht.
Inzwischen war es auf dem Podium gehörig voll, inklusive 8 Hörnern, Baßtuba, Kontrafagott, Celesta, Glocke, und man produzierte gekonnt Extase.
Schlußapplaus. Zwei Eindrücke: Mann, das war mal richtig laut. Kriegen wir das nochmal langsam zum Mitschreiben?

Dienstag, 10. November 2009

Mendelssohn - Mozart 1:0

Das Freiburger Barockorchester in Würzburg

Man sollte ja nicht meinen, es gäbe im tiefen Frankenland keine Kultur. Allerdings ist das Programm der Würzburger "Meisterkonzerte" ausgesprochen zahm, bei allzu verstörenden Werken könnten wohl auch dem Publikum die Hörgeräte herausfallen.
Gestern gab im Saal der Musikhochschule das allseits beliebte Freiburger Barockorchester mit Gottfried von der Golz als primus inter pares ein sehr statthaftes Konzert mit einer Gegenüberstellung eines jungen Mozart und eines außerordentlich jungen Mendelssohn.

Man begann mit einem Marsch (KV 248) von solchem Ausdruck und Gehalt, daß ich schon nach dem Schlußapplaus mich an keine einzige Note mehr erinnern konnte.
Immerhin war er kurz.

Es folgte das Violinkonzert d-moll des dreizehnjährigen Mendelssohn mit einem gut aufgelegten von der Golz. Mendelssohn kann je nach Interpreten entsetzlich langweilig sein. Nicht so mit den Freiburgern, die, wie es sich für ein gutes Barockorchester gehört, schlank, dynamisch und sehr geschlossen agierten und das Stück in jugendlichem Übermut in den Saal pfefferten.
Das Konzert hat nichts von der leicht kitschigen Süße des bekannteren e-moll-Konzerts. Typisch für den frühen Mendelssohn finden sich ausgedehnte Experimente mit der Formensprache früherer Epochen, ausufernde Solokadenzen und teilweise ein tragikomisches Pathos, als habe jemand dem kleinen Felix sein Schäufelchen geklaut.

Der folgende Mozart war auch durch das ausgezeichnete Kammerensemble nicht mehr zu retten - ein endloses sechssätziges Divertimento (KV 247), das offensichtlich Gebrauchs- und Hintergrundmusik war und im Konzertsaal nicht zu suchen hatte, und auch nicht durch Jugend zu entschuldigen war.
Man hatte ausgiebig Zeit, den frischrenovierten Saal zu beäugen, der hellhölzerne IKEA-Einheitsoptik ähnlich dem Konstanzer Audimax gewagt mit Deckenpanelen und Kristalleuchten aus den Fünfzigern kombinierte. Die Akustik war in den vorderen Reihen ausgezeichnet, leider auch die aus dem Auditorium: muß man sich eigentlich für knarzende Sitze und einen Boden entscheiden, der unter jeder Gummisohle entsetzlich quietscht?

Nach der nicht sonderlich erholsamen Pause im restlos überfüllten Foyer spielte man Mendelssohns Streichersymphonie Nr. 7: wieder frühromantisches Aufbrausen im Wechsel mit hübsch altmeisterlicher Polyphonie, stellenweise allerdings etwas unausgegoren. Trotzdem keine Entschuldigung für die Würzburger, im langsamen Satz wie ein ganzes Sanatorium zu husten und sich besorgt nach dem wechselseitigen Befinden zu erkundigen - das hätten sie allerhöchstens im Divertimento gedurft!

Das letzte Stück des Abends war dann eine doch recht gefällige und runde Mozartsymphonie (KV 129), die uns etwas versöhnte: Klein Felix wurde noch einmal vorgeführt, was eine richtige Mannheimer Walze ist.

Es gab freundlichen Applaus, einen nicht sehr kleidsamen Bocksbeutel für den Herrn Primarius und eine Ehrenrettung für Mozart in der Nachspielzeit: die letzten zwei Sätze aus der allseits beliebten A-Dur Symphonie KV 201, fröhlich beschwingt, und, da laut und deutlich als "ohne Wiederholung" (Finale) deklariert, auch ohne Mißverständnisse im Orchester.

Dienstag, 20. Oktober 2009

Rasant

War es Zufall, dass ich die kompletten Streichquartette von Felix Mendelssohn eingespielt vom Leipziger Streichquartett zum Geburtstag bekomme und das Ensemble knapp zwei Wochen später ins Inselhotel kommt - mit eben diesem Komponisten?


Die CD-Aufnahmen bestechen durch ihre rasant-dramatische Spielweise und so treten die vier relativ jungen Interpreten auch live auf.


Zu Beginn hören wir einen Webern aus dem Jahre 1905, welcher erstaunlich viel Tonalität aufweist. Nach dem langsam Finalsatz sollte jedoch Schluss mit der Ruhe sein. Es folgte das dramatischste, "unversöhnlichste" und düsterste Streichquartett Mendelssohns, was sicherlich größtenteils im Tod seiner Schwester begründet liegt. Es ist sein letztes und in der Tonart f-Moll (op. 80), in seinem und Fanny Hensels Todesjahr (1847), komponierte Streichquartett.

Der Komponist spart hier nicht mit Sätze, die mit Ausnahme des langsamen dritten (Adagio) mit überaus schnellen Bezeichnungen betitelt sind: Allegro vivace assai, Allegro assai und Allegro molto. Diese Angaben wurden vom Leipziger Streichquartett mehr als wörtlich genommen. Dem ersten Satz, wild interpretiert, mangelte es nicht an Dramatik. Er endet nahezu in einer Explosion, welche durch die erste Geige hervorgerufen wird und man erwartet nun eigentlich Entspannung. Aber Mendelssohn ist ganz und gar nicht danach, er steigt in die Dramatik zurück und kommt erst im Trio des zweiten Satzes zu etwas Atem. Das Gefühl wird hier auch sehr realistisch dem Zuhörer vermittelt, welchem schonmal der Atem stehen bleibt. Wie der erste, wird auch der zweite Satz wiederum in einem Wildsau-Tempo* dargeboten und lässt das Publikum vor Spannung erstarren. Der langsame Satz bleibt sehr fließend, verliert aber dadurch nicht seine Andacht. Der Finalsatz dreckig* schnell. Jedes andere Streichquartett wäre danach erschöpft. Das Sharon Quartett beispielsweise spielt alle Sätze in seinen Aufnahmen in etwas mehr als dem halben Tempo. Aber es folgt anschließend noch nicht die Pause!


*Diese Aussage ist durchaus als positiv zu werten.


Jörg Widmann, der nicht viel älter ist als die Mitglieder des Roktetts (geb. 1973) und ein vielschaffender Komponist und Klarinettist ist, schreibt ein Quartett, das sehr auf Effekte bedacht ist. Große Teile des Stückes finden sul ponticello statt, gerne auch mal auf dem Teil der Saiten, der unterhalb des Stegs liegt. Der Bogen darf die Saiten, die den Stachel mit dem Saitenhalter verbinden, zum Erklingen bringen oder auch ein knarzendes Geräusch auf der Rückseite des Instruments erzeugen. Das Stück ist ausgedehnt und enthält so viele extrem stille Momente, dass das Publikum nicht weiß, ob das Stück schon zu Ende ist und gegen Schluss gar ungeduldig wird. Das Stück besteht übrigens aus mindestens genauso viel Schrifttext wie Noten, wie wir am Ende vom Bratschisten gezeigt bekamen.


Der Klang der Leipziger ist sehr "offen", fast als schwebend beschreibbar, eine "barockoide" Spielweise mit wenig vibrato und viel leeren Saiten (auffällig vor allem beim Mendelssohn) - unterstützt durch den Hall des Festsaals im Inselhotel.


In der Pause spekulierten wir, ob der Finalsatz von Beethovens drittem Rasumovsky Quartett wohl seinem Namen alle Ehre machen und die schnellste Version, die wir je hörten, sein wird. In der Tat zum Schluss gar zu schnell für meinen Geschmack, das zu leichter Schlampigkeit in der ersten Geige führte. Trotzdem eine erstaunliche Leistung. Man bemerke, dass ein Cellist im Allgemeinen selten so schnell mit den Fingern über die Saiten sprintet und das mit so viel Präzision.




Am Ende "versöhnten" sie sich mit uns und der Musik mit einem Choral (passend zu Widmanns Choralquartett) von J. S. Bach als Zugabe. Alles in allem ein schöner Abschluss, dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Außer einem Autogramm in unserer CD-Schachtel.

Sonntag, 27. September 2009

"Bei Brahms bleibt es nicht lange gemütlich!"

So sprach in seiner charmanten Einführung der Bratschist des ZKO-Ensembles, das die Zuschauer an diesem Sonntag im an eine Turnhalle erinnernden ZKO-Haus im Zürcher Seefeld nicht nur mit Kaffee und Gipfeli erfreute.
Nach einer Odyssee durch die Stadt - bedingt durch eine sportliche Veranstaltung (wer braucht denn sowas?) im Zentrum - langten wir pünktlich um kurz nach elf in der Seefeldstraße 305 an, wurden sogleich auf Zehenspitzen in den Konzertsaal geleitet, der leicht improvisiert wirkt und klar macht, warum das ZKO in voller Besetzung dann doch lieber in der Tonhalle spielt. Aber das tun auch andere Orchester ganz gern. Da dies aber kein neu-job-bedingtes Lamento über die Zustände im Konzil oder die am Boden zerschellenden Gläser während des Espana-Programms der SWP (oder doch die Wilden?) am vergangenen Freitag werden soll, mit etwas mehr Objektivität zurück zum Thema.
Maurice Ravels Streichquartett haben wir an anderer Stelle schon besser gehört, wenn die Musiker so deutlich rausfliegen, dass selbst ich es nicht überhören kann, liegt einiges im Argen. Der Bratschist etwas unsauber, die erste Geige deutlich nervös (der Bogen hat gezittert, wo er nicht sollte) - teilweise klang es nicht nur chaotisch, sondern richtiggehend schief. Man hatte wohl nicht allzu viel geübt.
Wesentlich besser schien ihnen das Brahms'sche Klavierquintett in f-Moll zu liegen, im dritten Satz gewann das Ensemble deutlich an Schwung hinzu, die Cellistin lächelte ab und zu glücklich.
Nach einer Mendelssohn-Zugabe gab es am Ende doch noch Kaffee und besonders leckere Gipfeli für die zu spät Gekommenen, und dies trotz der Tatsache, dass wir es versäumt hatten, uns mit den allgegenwärtigen Desinfektionsmitteln zu behandeln. Kommentar hierzu an der Wand des vegetarischen Tibits-Restaurants: Bei uns haben Schweine nicht einmal in Form von Grippe etwas verloren!

Montag, 14. September 2009

Welcome to the Jungle

…oder: Wie man die Empathie der Zuhörer erschleicht.

In diesem Sommer gab es für uns eine Fülle an Freiluftmusik, ob zuhörender oder aufführender Weise. Auch wenn die hinreichend kultivierte Natur keine offensichtlichen Gefahren mehr birgt, gibt es für den Musiker immer das Risiko der witterungsbedingten Schönheitsfehler - sei es durch direkte Intervention oder einfach mangelnde Konzentration infolge nicht idealer Spielbedingungen. Nicht, daß das immer unvorteilhaft wäre: kleinere Macken unterhalten das Publikum, das bei Klassik ja nicht immer so viel zu lachen hat.

Ein Paradebeispiel war das Konzert zur Kammeroper, wo die Mezzospranistin in einer halsbrecherischen Koloraturorgie die falsche Abzweigung erwischte und abbrechen mußte. Sie bat mit einem charmanten Lächeln Publikum und Mitstreiter um Verzeihung, es wurde ohne viel Federlesen an einer geeigneten Stelle wieder begonnen, und sie erntete zuerst Gelächter und dann einen Riesenapplaus.
In einer von Regengüssen interpunktierten Aufführung, wo der Chor offensichtlich den Wiederbeginn verschlafen hatte, mußte die gleiche Sängerin vergeblich nach ihrer Leibwache rufen, was sie mit einer improvisierten "Wo sind sie denn?"-Kadenz quittierte -  das Publikum freute sich.

Als Streichquartett haben wir in diesem Sommer zwei Hochzeiten untermalt - beide auf malerischen Terrassen mit Seeblick. Im Juli brach mir vor dem Inselhotel mitten in Bachs Air die A-Saite, an Weiterspielen war nicht zu denken. Der Saitenwechsel wurde vom Bräutigam begeistert photographiert, als ich danach die Saite unter ordentlichem Gejaule etwas vordehnte, wurde ich gebeten, das für die Kinder nochmal zu wiederholen.

Die zweite Hochzeit fand Anfang September auf der Konzilterrasse statt - bei Windstärke vier. Grundsätzlich hat man für solche Fälle Wäscheklammern oder Magneten im Kasten, was aber nicht viel hilft, wenn es mitten im Mozart-Quartett die Notenständer umweht. Wehe dem, der in einer solchen Situation den Fuß vom Notenständerbein nimmt!

Ein Klassiker war auch das Engagement, Schuberts Ave Maria bei einer Taufersatzhandlung unter einem Baum mit der einfühlsamen Begleitung eines Ghettoblasters zu Gehör zu bringen - an einem lauschigen Dezemberabend; in diesem Fall ließen sich die stolzen Eltern dann doch auf eine Kompromißvorstellung im heimischen Wohnzimmer ein. Wer die balsamische Polarluft offensichtlich nicht goutierte, war der Täufling: der Schubert wurde zu einem nicht ganz so komponierten Duett…

Samstag, 29. August 2009

Ritorna a noi la calma - Serse mit ein bisschen Xerxes und vielen Stühlen im Konstanzer Rathaushof, 22. August 2009



Viele Stühle, auf und vor der Bühne, ein kleiner Bonsai, bei dem man sich nicht wundert, dass ombra mai fu, und ganz wichtig unsere beiden Stühle direkt in der Auftrittschneise von Sängern und Orchester. Im Innenhof des Konstanzer Rathauses fühlt man sich auf Anhieb wohl, eine wunderbare Atmosphäre mit assai ombra für eine gelunge Opernsommernacht - und überraschend viel Ruhe, einzig ein paar Glöckchen und der Güterzug um 22:04 Uhr haben ein wenig vom Bühnengeschehen abgelenkt.

Und da war eine Menge los, auf der Bühne. Vorneweg muss an dieser Stelle gesagt werden, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Händeloper nicht gelangweilt habe; das lag nicht nur daran, dass der Maestro Peter Bauer das Stück um eine knappe Stunde erleichtert hatte, sondern auch an der auf - und abtrittreichen Personenregie und am frischen Musizieren von Sängern und Orchester. Für den Großteil des Publikums sicher wichtig waren deutsche Rezitative als Handlungsstrang zwischen italienischer Arienseeligkeit, denen man nur in den seltensten Fällen anmerkte, dass sie artifiziert wurden.

Annette Wolf ließ in der Ausstattung von Jochen Diederichs ein großes Stühlerücken veranstalten, was dem Inhalt der Oper - der mich immer noch an eine typische Daily Soap gemahnt - relativ gut steht - ob es nun immer ganz der dargestellten Theatralik und Plastizität bedurft hätte, nun gut das ist Geschmacksache, mir hat es größtenteils gefallen. Amastris darf den Bonsai des untreuen Xerxes zerfetzen, Atalanta ist ein Vamp mit einer Fick-mich-Palme auf dem Kopf und Romilda ein scheues blondes Rehlein. Rein dramaturgisch war es geschickt Elviro, den Sklaven, und die umtriebige Atalanta als Buffo-Duo dem Seria-Quartett aus Xerxes - Amastris und Arsamene - Romilda gegenüberzustellen. Warum Ariodate am Ende seine eigene Tochter angraben muss, verstehe ich nicht, aber vielleicht habe ich das ja auch nur wieder mal in den falschen Hals gekriegt.

Das Sängerensemble wirkte in toto sehr harmonisch - besonders heraus stach die Romilda von Sirkka Lampimäki. Eine glockenreine Stimme, die seit dem Konzert des IOS Zürich im Jahr 2002 deutlich an Contour gewonnen hat, abzuwarten bleibt, ob die Stimme den Angriffen des Ensembleterrors der Helsinki Opera gewachsen ist. Beste Voraussetzungen hätte sie: Saubere Technik, minimale Registerschwierigkeiten. Dazu kommt, dass die blonde Finnin sich wunderbar in das Regiekonzept einfügte.
Das gilt auch für Camilla de Falleiro als Atalanta; sie pogt und fetzt über die Bühne wie ein Tier und ist der Clown der Aufführung - der Gesang hatte darunter freilich nicht zu leiden, zumal man ihr anmerkte, dass sie der barocken Stimmkultur eher verbunden ist. Auch hier eine sehr reine Stimme, die durchaus noch im Wachsen begriffen ist; was man ihr vorwerfen kann sind bisweilen kleine Intonationshänger in raschen Koloraturketten, aber das ist ab einem bestimmten Tempo nicht verwunderlich und schadet dem Hörvergnügen kaum.
Stephanie Firnkes Amastris wirkt anfangs etwas blässlich, gewinnt im Laufe des Abends aber stark an stimmlicher Sicherheit und Farbe. Klang vieles zunächst etwas bemüht, fand sie zu einer Geläufigkeit, die ich ihr nach den Eindrücken der Bamberger Sommeroper (hat sie da im Abschlusskonzert nicht die Carmen gegeben?) nicht zugetraut hätte, ihr sozusagen ein ganz anderes Gesicht verlieh.
Eberhard Bendel gab eine soliden Ariodate mit einer Neigung zum hupenden Untersteuern, das bisweilen etwas an die Katamarane 400m entfernt erinnerte, für größere Rollen fehlt es der Stimme wohl etwas an Kern; erschwerend muss ich aber zugestehen, dass die Partie undankbar im Zwischenregister liegt. Alejandro Larraga Schleske singt den Elviro mit sehr viel Jugendlichkeit und Singfreude, bisweilen merkt man der Einbettung der Stimme ihre noch mangelnde technische Fürsorge an, die Stimme ist noch nicht sonderlich dicht, aber bei einem 24-Jährigen kann man das auch schlecht erwarten; in den lustigen Nibelungen in Zürich (IOS) hat er mir als Giselher fast ebenso gut gefallen wie als blumenspendender Diener Arsamenes.

Die beiden Antipoden der Oper waren traditionell besetzt: Arsamene mit dem Counter Florian Mayr, der die in meinen Augen mangelnde Eignung des männlichen Stimmorganes für ein Höhentuning ohne vorherige Änderungen im Kehlkopfbereich vorführte. So sehr Arsamene sich bei Annette Wolf als kastrates Weichei aufspielen darf - muss er auch so klingen? Die Attacke in der höheren Lage wird da schnell zu einem kurzen Kreischen, das nicht nur an eine haltende U-Bahn erinnert, sondern die Tonhöhe auch mehr nach dem Schrohtflintenprinzip auslotet. Wenn man der Stimme Mayrs Zeit lässt, kann er seine Gestaltungsfähigkeit ausspielen und es macht durchaus Freude, ihm zuzuhören. Die Stimme ist nicht groß und auch nicht voll, sondern hat mehr eine staubige Helligkeit, die aber beeindruckendes Gestaltungspotential bietet.
Einen denkbar schlechten Start erwischte leider Kathrin Koch als Xerxes, das schattige "O" geriet ihr im Schlager der Oper als erste Ariennote einen kappen Halbton zu tief, leider hatte sie ihn so weit in der Stütze, das eine Korrektur nicht mehr möglich war. Ob dies nun an der nicht optimalen Vernehmbarkeit des Orchesters auf der Bühne lag oder nicht - Xerxes schien lange Zeit etwas geschockt und blieb blässlich; im Laufe des Abends begann er/sie aber sich freizulaufen und fand sich anfangs mit Mühe, dann mit spielerischer Leichtigkeit an seinem Platz unter dem Bonsai ein; auch wenn Kochs Stimme wenige strahlende Härte hat, sondern sehr viel Menschlichkeit, gelang ein furioses "Crude furie", das einen zum Ende der Oper noch einmal richtig aus dem Sitz hob.

Der Chor war barock ausgedünnt und klang - auf den Seitenplätzen - etwas dürr, aber für die kleine Bühne und die kugelige Akkustik im Rathaushof war das auch ausreichend.

Am Pult des kleinen Orchesters tat Peter Bauer gewohnt tempoaffin, schwungvoll und routiniert seinen Dienst. Barocke Fröhlichkeit mit heftigen Hab-Acht-Momenten gab der Partitur das zurück, was so viele Barockdirigenten ihr durch schauckeliges, ausdrucksloses Geschrubbe rauben: Opernhaftigkeit. Das Orchester rollte sich mit beachtlicher Präzision durch die händelschen Tonschlangen und vermochte es unter den Händen des Maestros, dem nicht immer abwechslungsreichen Musikgeschehen eine Leichtigkeit abzuringen, die einen mit vielen entsetzlich langen und langweiligen Händel-Abenden in den Opernhäusern dieser Welt aussöhnte.

Bleibt zum Schluss den Maestro und sein ganzes Ensemble zu einem wirklich schönen Abend zu beglückwünschen, den man so gerne in Erinnerung behalten wird. Was brauchen wir Salzburg, wenn wir Konstanz haben?

Donnerstag, 23. Juli 2009

Konzertsaison 2009/2010

Die Highlights der nächsten Saison aus den Programmen der Schubertiade Hohenems, des Orchesters St. Gallen, der Südwestdeutschen sowie der Tonhalle und des Zürcher Kammerorchesters.
Die aufgeführten Preise sind jeweils die der günstigsten Kategorie (damit wir mehr Konzerte besuchen können).

Guckt es euch an, ich würde dann das Karten organisieren übernehmen, außer jemand will das unbedingt machen ;-)

Ab 20. August bin ich in Griechenland, die Karten für die Konzerte dieses Jahr würde ich gerne davor bestellen, Uchida, Perahia und Co. sind sicher sehr schnell ausverkauft.

Außerdem gibt es noch ein paar Terminkollisionen, die höchst problematisch sind, vielleicht sollten wir im Mai allesamt in Kultururlaub gehen.

27. September 2009: Matinée im ZKO-Haus - Ravel Quartett/Brahms Klavierquintett f-Moll - 40 Franken incl. Kaffee und Gipfeli.

2. Oktober 2009: Heinrich Schiff/Hanna & Bruno Weinmeister/Südwestdeutsche Philharmonie - Schubert "Unvollendete"/Brahms-Doppelkonzert.

4. Oktober 2009: Mitglieder des Tonhalle Orchesters - Brahms-Streichsextett Nr. 1/Mendelssohn-Oktett - 25 Franken.

21./22./23. Oktober 2009: Tonhalle Orchester & Mitsuko Uchida - Beethoven Klavierkonzert Nr. 2 & Mahler 5. Symphonie - 25/40 Franken.

21./22./23. Oktober 2009: Mona Asuka Ott/Südwestdeutsche Philharmonie - Chopin Klavierkonzert Nr. 1/Strawinsky "Feuervogel".

18./20. November: Lilya Zilberstein/Südwestdeutsche Philharmonie - Ravel Klavierkonzert G-Dur/Dvorak Symphonie Nr. 8 "Englische".

5. Dezember 2009: Gidon Kremer u.a. - Mahler Klavierquartett a-Moll/Brahms Quartett c-Moll/Schnittke Streichtrio - 16 Franken.

9./10./11. Dezember 2009: Tonhalle Orchester & Murray Perahia unter Bernhard Haitink - Mozart Klavierkonzert Nr. 24 c-Moll/Beethoven Patorale - 25 Franken.

26. Januar 2010: New York Philharmonic & Yefim Bronfman in der Tonhalle - Prokofiev Klavierkonzert Nr. 2/Rachmaninov 2. Symphonie - 25 Franken.

29. Januar 2010 - St. Galler Meisterzyklus-Konzert - Schostakowitsch Quartette 1 & 8/Schnittke Nr. 3/Beethoven op. 133 - 16/32 Franken.

20./21. Februar 2010: Rudolf Buchbinder/Südwestdeutsche spielen Beethoven - alle Klavierkonzerte an zwei Abenden.

21. März 2010: ZKO-Matinée - Schostakowitsch Quartett Nr. 12/Beethoven Rasumovsky Nr. 3 - 40 Franken incl. Kaffee und Gipfeli.

24./26. März 2010: George Lazaridis/Südwestdeutsche - Strauß "Tod und Verklärung"/Brahms Klavierkonzert Nr. 2.

30. März 2010: Viviane Hagner & ZKO - Schubert Rosamunde/Mozart Violinkonzert Nr. 4/Schönberg "Verklärte Nacht" - 16 Franken.

14. April 2010: Tonhalle Orchester - Brahms 1. & 2. Symphonie - 25 Franken.

15. April 2010: Tonhalle Orchester - Brahms 3. & 4. Symphonie - 25 Franken.

5./6./7. Mai 2010: Tonhalle Orchester & Radu Lupu - Widmann Lied für Orchester/Schumann Klavierkonzert/Schostakowitsch 6. Symphonie - 25 Franken.

7. Mai 2010: Meisterzyklus-Konzert St. Gallen - Jonathan Gilad/Viviane Hagner/Daniel Müller-Schott - Klaviertrios Beethoven Nr. 1/Mendelssohn Nr.2/Schubert Es-Dur - 16/32 Franken.

8. Mai 2010: Lauma Skride/Südwestdeutsche - Chopin Klavierkonzert Nr. 2/Schumann Symphonie Nr. 2.

10. Mai 2010: Pavel Haas Quartett/Danjulo Ishizaka - Dvorak "Amerikanisches"/Schubert-Quintett - 35 Euro (Schubertiade).

15. Mai 2010: Kopatchinskaja/Gabetta/Sigfridsson - Haydn Zigeunertrio/Vasks/Schumann Klaviertrio Nr. 2 - 35 Euro (Schubertiade).

16. Mai 2010: Yaara Tal/Andreas Groethuysen - u.a. Brahms Klavierkonzert Nr. 1 für vier Hände (!) - 35 Euro (Schubertiade).

8. Juni 2010: Fazil Say/ZKO - Mendelssohn "Melusine"/Bach Klavierkonzert Nr. 1/Strawinsky Konzert in Es-Dur/Saint-Saens Klavierkonzert Nr. 2 - 16 Franken.

20. Juni 2010: Quarteto Casals - Smetana "Aus meinem Leben"/Schubert "Der Tod und das Mädchen" - 35 Euro (Schubertiade).

19./22./23. Juni 2010: ZKO - Schostakowitsch Streichersymphonie As-Dur/Schubert Rondo für Violine und Streichorchester/"Der Tod und das Mädchen" in der Fassung für Streichorchester von Mahler - 58 Franken.

29. August 2010: Hagen Quartett - Schubert "Rosamunde"/Webern Quartettsatz/Grieg g-Moll - 39 Euro (frühzeitige Reservierung notwendig, in Hohenems ist alles extrem schnell ausverkauft).

Freitag, 3. Juli 2009

Siamesische Zwillinge am 17. Juni in Zürich

Gegen widrige Bedingungen kämpften wir, gegen Stau, Fieber, Schüttelfrost und nach allerlei Unappetitlichem riechenden Schweizerinnen auf dem Nebensitz - aber es hat sich gelohnt!
In einer hübschen, im Ganzen unauffälligen Inszenierung (Grischa Assagaroff) wurden in Zürich die siamesischen Zwillinge des Verismo vorgeführt: Mascangnis Cavaleria Rusticana und Leoncavallos I Pagliacci, in deutschen Breiten auch als "Der Bajazzo" bekannt.
In der ersten Hälfte zog einen die Santuzza von Paoletta Marrocu so sehr in den Bann, dass man Turiddu gar nicht verstehen kann, dass er die etwas blässliche Lola (Liliana Nikiteanu) lieber beleibt und beliebt - wo sie zwar ganz ordentlich, aber doch gar nicht "assai piu bella" sang; Marrocu sang mit einem warmen, fließenden und vollen Fluten, das einen eine der Stimmlage nach "höhere" Besetzung ideal erscheinen lässt - ich habe das so noch nie gehört, was heißen soll: so technisch gut und so unglaublich ergreifend habe ich das noch nie gehört. Da stört das kläffende Stentoreinlagengehabe von Cheyenne Davidson als Alfio kaum, und Mamma Lucia ist eine Rolle, die den sängerischen Fähigkeiten von Irene Friedli abgemessen ist.
Ebenbürtig neben Maroccu stand als Bindegleid zwischen den Zwillingen Jose Cura: Sein Turiddu überzeugt durch eine für ihn untypisch präzise Stimmführung, Artikulation und Intonation, dass man sich fragen muss: Warum nicht immer so? Es zahlt sich offenbar aus, dass Cura seine Stimme nicht durch 60 Abende im Jahr quält, sondern sich auf 25 beschränkt. Und: Den Turiddu kann er, ihn hat er einstudiert - so kann man seinen Gesang auch außerhalb der "Gassenhauer" genießen. All das gilt in gleichem Umfang auch für seine Interpratation des Canio in Leoncavallos Eifersuchtsgeschichte: Er legt diese Rolle anderst an als die des Turiddu, verblüffend, welche Unterschiede er zu erzeugen weiß! Und: Wenn er muss, kann er hintergründig werden, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen, ohne die Grenzen des Schöngesangs zu sprengen. Auch hier zahlt sich eine Stimmreifung aus, die gerade im Vergleich zum Decca-Bajazzo frappant ist.
Als Nedda steht im Fiorenza Cedolins zur Seite, die eine etwas gealterte Nedda singt und an den Canio nicht herankommt. Hier und da etwas Rotz im Register, die Stütze wackelig und im Piano am dem G doch ein ziemliches Flackern in der Stimme, in toto aber trotzdem so gut, dass der Eindruck des Abends nicht gestört werden kann.
Carlo Guelfi als Tonio ist auch dämonisch, sein Prologo ist ein Höhepunkt des Abends. Eine sicher geführte, nicht sehr große, aber wunderbar dichte Baritonstimme - wir alle erinnern uns gerne an Giorgio Zancanaro, und sagen uns: Herr Guelfi ist auf dem richtigen Weg.
Solide aber mehr auf Ensembleniveau bewegt sich Gabriel Bermudez Silvio, ein Piano ist nur unter knödelndem Quetschen möglich und: Man kann hohe Töne auch leise singen und vor allem mit der richtigen Tonhöhe. Geschieht im Recht, dass er am Schluss erstochen wird. Also Silvio, nicht Bermudez.
Wie immer absolute Weltklasse der Pepe von Boiko Zvetanov, der an Lautstärke immer noch alle Bühnenteilnehmer übertrifft, ebenso an Körperfülle - belassen wir es bei diesen Aussagen.

Am Pult agierte Stefano Ranzani im Ganzen überaus glücklich, der Kontakt zur Bühne war vorbildlich, da wird niemand gehetzt und gedrängt, oder gar ausgehungert: Völlig orgnanisches, gemeinsames Musizieren - man merkt eben doch, wer Operndirigent ist und den Text mitsprechen kann. Auch das war in Zürich in letzter Zeit nicht immer selbstverständlich (mit hoffnungsvollem Blick auf Fabio Luisi).
Der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor sang ordentlich und bekam diesesmal die Fuge am Beginn der Pagliacci sogar auf die Reihe, ohne über die eigenen Füße zu stolpern.

Wir konnten die Oper gut durchgenässt und mit leichten Vergasungserscheinungen verlassen. Wie gut, dass die Klimaanlage überholt werden soll.
(Für mehr Informationen bitte: http://opernhaustv.eviscomedia.com/media.1007.html )

Ojgn...?


Augen sind in dieser Saison schwer zu finden. Bregenz setzt diesmal auf eine dezent skalpierte Sexploitation-Optik (ab 22.7.), während die Kammeroper Konstanz den schwarzen Balken in filigraner Form neuinterpretiert (s.o.).
Auch in der AStA-Kulturnacht mußte man besonders darauf hinweisen, daß nicht etwa der "schwarze Eugen" jiddisch besungen wurde.

Um zum eigentlichen Zweck dieses Beitrags zu kommen: Xerxes von Händel wird im Rathaushof am 19./21./22./24./26. August zu Gehör gebracht und dem Auge dargeboten; am 9. August gibt es eine Händeliade im Wessenberghof als Apero. Nicht nur für Baumumarmer!

Dienstag, 21. April 2009

Philharmonisches Konzert mit Live-Kommentaren

Da wir uns im Tag geirrt hatten, hätten wir den "frechen Dreier", bestehend aus Liszts erstem, Rachmaninovs zweitem und Beethovens fünftem Klavierkonzert beinahe verpasst.
Nach einem Besuch bei unserer wieder eröffneten Lieblingseisdiele statteten wir dem Konzil spontan doch noch einen Besuch ab. Vom Vorraum des Saales konnten wir zumindest Beethovens kaiserlichem Konzert fast von Anfang an lauschen. Anmerkung: dies soll keine Einladung dazu sein, kein Geld mehr für die Philharmonie auszugeben, zumal das Orchester bei der ohnehin schon gedämpften Akustik durch die Glastüre kaum durchdrang! Der Pianist (es waren an diesem Abend drei Pianisten) spielte in unseren Augen etwas matschig und schien eher auf Effekthascherei anstatt Musikalität aus zu sein. Einige Temposchwankungen und Holzbläserunreinheiten, ansonsten war es nett, das Monumentalwerk mal als Außenstehender zu genießen - und live darüber zu lästern.

Ein Orchestermitglied merkte später an, dass es im Konzil aufgrund der miserablen Aksutik ohnehin keine Rolle spiele, ob man vor oder hinter der Glastür der Musik lauscht - ein weiteres Argument für das in Klein-Venedig geplante Konzerthaus!

Montag, 20. April 2009

Etwas verspätet: die Johannespassion in der Lutherkirche Konstanz

Erkenntnis: man kann seine Blogeinträge auch so lange vor sich herschieben, bis man sich an das Konzert kaum mehr erinnern kann.
Verschiedene Roktettmitglieder haben am Karfreitag die Johannespassion in der Konstanzer Lutherkirche besucht, in Erinnerung geblieben sind gewisse Unstimmigkeiten beim Chor (manch einer war im Text ab und zu eine Silbe voraus bzw. hinterher), nervöse Musiker, wobei ich beim besten Willen nicht mehr weiß, um welche Instrumente es sich genau handelte, und solide Solisten. In die Korrektur des "Programmheftes" dürfte ein bisschen mehr Zeit investiert werden, nicht alles, was da geschrieben stand, lässt sich mit nicht ganz zeitgemäßem Deutsch entschuldigen.
Überhaupt - die Texte: es hätte nicht verwundert, wäre es nach der äußerst vielfältigen Verunglimpfung von Jesus' jüdischen Glaubensbrüdern und -schwestern zu einiger Aufruhr gekommen, in meiner naiven Unwissenheit fand ich einige Sätze doch nicht ganz tragbar.
Wie wär's also mal mit einem neuen Text für die Johannespassion?
Allerdings drängte sich ohnehin die Vermutung auf, dass ein großer Teil des Publikums diese Veranstaltung NICHT wegen der Musik besuchte.

Letztes Fazit eines wunderbar durchschnittlichen Abends: die Kellnerin unseres nach-konzertlichen Lieblings-Etablissements verdient bald einmal einen eigenen Blog-Eintrag. Sinophilen Madrilenen liefen die Tränen übers Gesicht und eine gewisse Historikerin wurde von der Dame mehrfach jovial schmerzhaft in die Seite geboxt, während sie mit einem höchst amüsierten Jung-Regisseur ernsthafte Diskussionen über den Genuss bröseliger Brötchen führte, das geht so nicht!

Mittwoch, 15. April 2009

Theologische Zwickmühle

Für alle, die Karfreitag abend nicht in der Johannespassion waren (wie war die eigentlich?), gab es morgens im Gottesdienst die Passion für Eilige: Alle Choräle mit Lesungen des Pfarrers dazwischen.
Bach-Choräle morgens um 10 a cappella sind eine heikle Sache, man schlug sich wacker und sackte nicht allzu tief. Wie hieß es schon in meinem Karlsruher Kirchenchor:
Wer dem Chor am Sonntagmorgen vertraut,
der hat auf reinen Sand gebaut…

Zwei Anmerkungen zur Lesung:
"Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben mich dir überantwortet", kann im Eifer des Gefechts ja passieren. Ein kurzer, nicht völlig unwichtiger Satz fehlte mir aber doch:
Und neigte das Haupt und verschied.

Was ist dann eigentlich mit der Auferstehung?

Mittwoch, 8. April 2009

Mai Tosca alla scena più tragica fu!


Seht das schöne Opernhaus,
sieht es nicht phantastisch aus?
Nachdem mich mein Bürotenor den halben Morgen mit segmentation faults aufgezogen hatte, zog ich äußerst erwartungsfroh nach Zürich, wo gestern abend unter anderem Tenöre gefoltert wurden.
Die Bregenzer Tosca im letzten Sommer gab ja genügend Stoff für Lästermäuler wie mich; der heutige Beitrag wird dagegen nicht einfach. In summa klappte einem ab dem ersten Takt die Kinnlade herunter und wurde beim Schlußvorhang wieder aufgesammelt.

Das einzige große Auge des Abends wurde im dritten Akt von Cavaradossi mit Kreide an die Mauer gekritzelt (s.u.): von high tech konnte keine Rede sein. Dafür gab es dichtes Kammerspiel auf angenehm kleiner Bühne und die gewohnt phänomenale Zürcher Akustik.
Gegen die Inszenierung (Robert Carson) konnte man nicht viel sagen, aufregend war sie aber auch nicht. Sie erschöpft sich eigentlich in der Idee eines Theaters auf dem Theater, die Szene ist im Parkett, hinter dem Brandschutzvorhang, oder mit Blick über die Proszeniumslichter in einen gähnend schwarzen Zuschauerraum, in den sich Tosca am Schluß mit einem anmutigen Hüpfer verabschieden darf.
Alles dreht sich um Tosca, die Madonna, Primadonna, Angebetete je nach Bedarf verkörpern muß. Programmhefte mit ihrem Konterfei dienen als Requisit, gelegentlich auch als erotische Vorlage, das ist praktisch und spart Kosten. Autogramme werden auch gleich auf der Bühne gegeben.
Daneben läßt die Inszenierung den Sängern mächtig Freiraum, was insbesondere beim Showdown Tosca-Scarpia im 2. Akt nicht schlecht war.
Emily Magee spielte eine strahlende launische Diva mit Momenten großer Tragik. Nebenbei ein Lob an die Kostümabteilung, die ihr Teil zum großen Auftritt beitrug - allerdings war das Negligé im zweiten Finale etwas knapp angesichts der mörderischen Anstrengungen, man fürchtete um Magees Dekolleté. Ihre Angewohnheit, beim Beten und Flehen die Arme etwas ulkig in der Luft zu verrenken, wirkte angesichts des lapisblauen Abendkleides manchmal wie eine Yves Klein-Performance. Überhaupt das Kleid: Nach vollbrachtem Mord mußte es wieder angezogen werden, was ein ziemliches Gefummel war. Als echter Kavalier hätte Hampson eigentlich auferstehen und helfen können! Passenderweise verlängerte sich die Umbauphase zum dritten Akt, weil "etwas klemmte". Was genau, wurde verschwiegen…
Thomas Hampson gab seine Rolle als gegelter Unsympath im Smoking mit enormer physischer Präsenz, vom säulenumrahmten Auftritt in luftiger Höhe bis zum gewalttätigen Ableben. Sein spöttisch nachgeschobener Applaus nach dem "Vissi d'arte" war einer der besten Regieeinfälle.
Jonas Kaufmann hing wahlweise leidend auf der Bühne herum oder herzte La Magee, aber mehr muß ein Cavaradossi ja auch nicht machen.
Die Damen und Herren Kaufmann, Carignani, Magee, Hampson etc. Bravi!

Musikalisch hatte man am Anfang des ersten Aktes leichte Anlaufschwierigkeiten: Kaufmann im Piano-Brustregister und mit einem winzigen Kiekser, Magee fehlte in der "Non la sospiri la nostra casetta…"-Passage die Geläufigkeit und auch ein bißchen die Kontrolle. Hampson war beim "Va Tosca … Te Deum" noch etwas zu leise. Scarpia fällt einfach nicht ins lyrische Baritonfach, und die Arie ist auch stimmlich eine brutale schwarze Machtdemonstration.
Der zweite Akt lag Hampson deutlich besser. Scarpia ist nicht nur brutal: ein eiskalter Verführer und perverser Manipulator. Der große Don Giovanni Hampson kann da alle Register ziehen.
Magee war etwas herb in den tieferen Lagen, dafür aber stark, weich und sicher in den Höhen. Dabei scheute sie nicht die gelegentliche kalkulierte Unschönheit: Ihr heiseres "E avanti a lui tremava tutta Roma" jagte einem Schauer über den Rücken. Ein überzeugendes Rollendebut.
Kaufmanns lyrisch-baritonal gefärbter Tenor paßt gut sowohl zu Puccini als auch zu Magees Stimmcharakter. Er nutzte seinen beträchtlichen dynamischen Ambitus mal wieder voll aus, vom hauchdünnen, etwas artifiziellen Pianissimo in "E lucevan le stelle" zum gepflegten Vittoria-Brüller, der einen auch im 2. Rang noch gehörig föhnte.
Das Opernorchester tat dazu sein Bestes, mit wuchtigem Schlagwerk und erstklassigen Orchestersolisten. Paolo Carignanis Dirigat war zügig und glücklicherweise relativ unsentimental. Die Arien wurden ohne viel Federlesen abgewickelt: gerade Magee hätte beim "Vissi d'arte" anscheinend gerne mehr Zeit gehabt, wurde aber freundlich-bestimmt zurück ins Tempo befördert. Das wirklich Beeindruckende des Abends waren aber die Ensembleszenen mit teilweise orgiastischer Klangentwicklung. Die gehört sich ja auch bei Puccini.

Dienstag, 7. April 2009

Für Kinder und andere höfliche Menschen - Haydn, Mendelssohn und Bruch in Zürich

Sonntagvormittag machten wir uns auf zur Kammermusik-Matinée in der Tonhalle, deren Publikum weiter unten Stoff für ausführliche Diskussionen geliefert hat.
Fakt: um Viertel nach elf scheinen tatsächlich höflichere Menschen ins Konzert zu gehen, was auch daran liegen könnte, dass die Musiker nicht ganz so berühmt waren wie das Hagen-Quartett (nein, wir sind nicht polemisch. Überhaupt nicht).
Mitglieder des Tonhalle-Orchesters spielten das zweisätzige Streichquartett von Joseph Haydn in d-Moll op. 103, solide, aber ohne größere Überraschungen, genaueres Feedback ist aufgrund des Allgemeinzustandes der in Zürich übernachtenden Roktett-Mitglieder (Müdigkeit, Krankheitserscheinungen) nicht mehr verfügbar - Martin, vielleicht solltest du mal bloggen?
Es folgten Mendelssohns vier Stücke für Streichquartett op. 81, der erste von vier eigentlich nicht zusammen gehörenden Sätzen für meinen Geschmack etwas zu geigenlastig, aber die Fuge weckte angenehme Erinnerungen an das Programm der Emersons in Hohenems.
Glanzstück des Vormittags war das lang erwartete und viel gerühmte Bruch-Oktett, das auch den letzten der müden Zuschauer erweckte und vor allem die kammermusikbegeisterten Kontrabassisten im Publikum glücklich machte, hatten sie doch auch endlich eine Identifikationsfigur. Das Programmheft erwähnt die Ungeheuerlichkeit, die Max Bruch sich geleistet hat, als er im Jahre 1920 als Zweiundachtzigjähriger nicht modern komponierte, sondern unbeirrt an der Romantik festhielt, und dem Fazit von Jens-Peter Schütte schließen wir uns mit Vehemenz an: "von solcher Frische, solcher Leidenschaft und solchem Feuer hätten sich selbst manche Vertreter der neuen Musik eine Scheibe abschneiden können."
Jawohl!

Erwähnung finden sollte zu guter Letzt die Existenz einer Kindermatinée, die den Eltern erlaubt, in Ruhe dem Konzert zu lauschen, während die Kinder wohl hinter der Bühne altersgerecht in die Stücke eingeführt werden und dazu malen dürfen. Dies führt dazu, dass vierjährige Mädchen in pinken Kleidchen nach dem Konzert in der Schlange vor der Toilette mit Frau Mama über Mendelssohn philosophieren - sehr charmant!

Sonntag, 5. April 2009

Von Muse und Mammon

Unabhängig davon, wie ich selbst über Leute denke, die sich während einer musikalischen Veranstaltung ohne ersichtlichen Grund daneben benehmen, muss ich sagen, dass bis zum letzten regulären Ton einer Veranstaltung gewisse Grundlagen der Höflichkeit gelten, die schlichweg nicht abdingbar sind: Keine Geräusche, nur in Notfällen aufstehen, zuhören.
Mit dem Verklingen des letzten Tones steht es aber jedem frei, seine Meinung über die Veranstaltung in welcher Form auch immer zum Ausdruck zu bringen: Trillerpfeife, "Buhhuhuhuh", Aufstehen und Gehen, Begeistertes Klatschen. Das sind die Regeln, auf die lässt sich jedermann ein, wenn er einen Konzertsaal oder ein Opernhaus betritt. Das gilt insbesondere auch für die Künstler, die als Dienstleister von dieser Möglichkeit leben, ohne bei Schlechtleistung Minderungsansprüchen an ihrer Gage ausgesetzt zu sein!

Es steht dann natürlich auch jedermann - also Künstlern wie Besuchern - frei, sich über ein bestimmtes Publikum entsprechend zu äußern und es notfalls mit dem Entzug der eigenen Anwesenheit zu bestrafen. Ich für meinen Teil habe entschieden, mir den Staub der meisten personellen Auditorien von den Füßen wischen und lediglich im Extremfall mein eigenes Missfallen gegenüber bestimmten Verhaltensformen deutlichst zum Ausdruck zu bringen.

Davon zu trennen ist die Frage, wie Kunst bezahlt wird, und ob man für das Stattfinden von Kunst nicht die Anwesenheit eines kunstfernen Oberschichtenprekareats in Kauf nehmen muss.
In Deutschland wird die Kunst mit Steuergeldern bezahlt, das heißt wenn wir in der Deutschen Oper Berlin oder in der Berliner Philharmonie eine Karte für 15 EUR kaufen, zaht der Steuerzahler daran 85 EUR, um die Kosten des Veranstaltungsbetriebes zu decken. Demnach finanzieren in Deutschland und im extremsten Maße in Berlin etwa 5 - 7 % der Steuerzahler 85 % des musikalischen Vergnügens. Es kommen nur die, die wollen und die meisten bleiben weg. Dieses System ist weltweit einmalig und oft einer mehr oder minder berechtigen Kritik unterworfen - nichtsdestotrotz bin ich sein größter Anhänger und Verfechter. Allerdings weiß niemand, wie lange dieses System aufrechterhalten werden kann.

In allen anderen Ländern dieser Welt muss Kunst von den Menschen bezahlt werden, die sie besuchen. Und weil Kunst teuer ist - besonders der Erhalt von Gebäuden und die Gagen der Künstler - muss es Leute geben, die bereit sind, viel für Kunst zu bezahlen und das auch können, unabhängig davon, ob sie irgendetwas davon verstehen oder mit welcher Motivation sie die Veranstaltung aufsuchen - sonst fände Kunst nämlich schlicht und einfach nicht statt. Dabei werden in Zürich die Preise so kalkuliert, dass die reichen Kulturbanausen soviel bezahlen, dass es auch günstigere Plätze geben kann. Wenn wir das Hagenquartett für 35 SFR hören, muss der dicke Zuspätkommer mind. 75 SFR abdrücken, weil sonst das Hagenquartett schlicht nicht da wäre. Und nicht einmal das ist kostendeckend, sondern die Veranstaltungen werden von weiteren gönnerischen Kulturbanausen und Abonnenten subventionniert, die lieber gleich richtige Kunst hören als gar keine, welche Motivation auch immer dahinter stecken mag.

Deshalb ziehe ich es vor, mit einem Haufen Banausen einen zumindest musikalisch hervorragenden Abend zu erleben, als zu Hause vor der Stereoanlage von schönen Konzerten träumen zu müssen, weil diese in greifbarer Nähe schlicht nicht stattfinden.

Samstag, 4. April 2009

Das Geschäft mit der Kunst

Die Tonhalle Zürich ist doch immer wieder eine Enttäuschung wegen ihres schlechten Preis-Leistungs-Verhältnisses. Sicherlich haben schon andere Roktett-Mitglieder mehr Konzertsäle besucht als der Autor dieses Kommentars, jedoch gibt es Dinge, die in einem solch renommierten Konzerthaus nicht auf der Tagesordnung stehen sollten.
Im großen Saal dröhnt die Klimaanlage vehement in jedes Pianissimo und keiner kümmert sich darum. Ist die Tonhalle trotz aller Gönner zu arm für ein Upgrade?
Für Programme des Tonhalle-Orchesters muss man zusätzlich zum vergleichsweise hohen Eintrittspreis noch ein paar Franken hinblättern und wird noch blöd angemacht, wenn man fragt, ob man in Euro bezahlen kann. Ein Hoch auf das Zürcher Kammerorchester!
Zwei Drittel der Besucher scheinen sich mehr um ihren Kleidungsstil und ihr Auftreten Gedanken zu machen als um die Kunst, was sich in höchst unangemessenem Verhalten gegenüber den restlichen - interessierten -  Besuchern und der Künstler auswirkt. Besucher, die versuchen, das ihnen dargebotene nachzuvollziehen oder einfach nur zu genießen.
Es wird geklatscht, wenn die Bögen der Quartettspieler noch in gespannter Position nach einem lyrischen langsamen Satz verharren; es wird geratscht, gehustet und mit den Programmheften rumgespielt. Es kommen Leute nach der Pause zu spät in den Saal und trampeln durch das Publikum, als wären sie selbst der wichtigste Teil des Abends.
Die Höhe ist es, wenn sich die Künstler das zweite Mal verbeugen und ein Drittel des Publikums aufsteht und den Saal verlässt. Wie unhöflich den Künstlern gegenüber und auch den Leuten, die vielleicht auf eine Zugabe hoffen. Dass das Hagen-Quartett unter den Umständen noch eine spielte, fand ich verblüffend. Als die Zugabe anfing konnten sich die "Gehenden" nicht entscheiden, ob sie zur Türe hinausgehen oder doch noch stehen bleiben. Geht es da noch um die Kunst?
Es geht darum, möglichst schnell an der Garderobe zu sein. Als weiteren Grund fallen mir zu erreichende Züge ein, mehr auch nicht. Wenn es mehr schlüssige Gründe für das Verhalten gibt, so erzählt sie mir bitte, vielleicht habe ich dann mehr Verständnis. Wenn jemand zu einem Konzert geht, sollte er damit rechnen, dass es auch ein paar Minuten länger dauern kann bzw. warum sich nicht darüber freuen? Das gilt auch für Abonnenten! Nicht gar besonders für diese?
Oder warum ist es anderorts möglich, sein Konzert - oftmals mit sogar mehr Besuchern - mit mehr Ruhe zu genießen? Orte, bei denen man das Gefühl hat, dass die Besucher für die Musik kommen und nicht um sich selbst darzustellen.

Freitag, 3. April 2009

Hagen in Zürich - Von der Unkultur der Zürcher Abonnenten


Es hat dieses Mal nicht geschneit und es waren alle vier Mitglieder des Streichquartettes vorhanden. Wir waren zu fünft und angesichts der Enge des Wagens sehr froh an zwei unterschiedlichen Klimazonen mit eigenständiger Luftfeuchtigkeits- und Temperaturregelung.
Die Hagens starteten mit Beethoven op. 18 Nr. 5, insgesamt noch recht klassisch, ein schöner Variationensatz. Im Anschluss daran Haydn mit dem Sonnenaufgangsquartett, beeindruckend der zweite Satz mit fast romatischem Hauch. Nach der Pause gab es noch Beethoven Rasumovsky Nr. 2, das Anfangs noch eher gemächlich zu einem furiosen finalen Rondosatz durchgesteigert ist. Die Hagens und ihr zweiter Geiger spielten gewohnt luftig und mit viel Frische, bisweilen mit eigenwilligen Tempi, die auch innerhalb der einzelnen Sätze je nach Primarstimme erheblich variabel erschienen. Sehr überzeugend.

Auffallend war neben der offensichtlichen Spielfreude des Primarius eine sehr lästig kieksende E-Saite - oder hatte sich der Wasserschaden am Tonhallengebäude in seine Geige vorgefressen? Abgesehen von den technischen Überschlägen Clemens Hagens - was ihm angesichts der sehr filigranen, die erste Geige folternden Stücke verziehen sei - und dem ein oder anderen nicht ganz wohlgestimmten Ton zeigte sich das Quartett in ausgezeichneter Verfassung, der Abend war kurzweilig und lies sich auch unter der Balkonade durchaus genießen. Nach drei Vorhängen gab es als Zugabe ein kleine Hommage an Papa Haydn - Kaiserquartett Erster Satz, der beste Höreindruck an diesem Abend.

Sehr zwiegespalten die Meinung über das Publikum, neben einigen Streetkids in der Reihe hinter uns (waren da wirklich Schnarchgeräusche oder war es die malade Luftungsanlage?), die entsetzlich nach Rauch stanken, erregten vor allem die ungeduldigen Zürcher Anzugträger Unmut, die bereits nach dem zweiten Vorhang den Sturm auf die Gaderobe eröffnen wollten und dann über die Zugabe sichtlich erschreckt auf Notplätzen Zuflucht suchen mussten. Ein Abonnement besagt, dass man für Kultur bezahlt, nicht dass man sie versteht - was wichtiger ist, steht im Ermessen des Einzelnen, ebenso die Entscheidung, wann er seinen Platz verlassen möchte.

In der Wartschleife für die Bemantelung fand sich in derselben Verlorengeglaubtes Zahlunsgmaterial wieder, so dass nach einer kurzen Irrfahrt durch die Zürcher Bahnhofsgegend durchaus die pekuniären Voraussetzungen für den Besuch des von einem allseits bekannten Excellisten des Uniorchesters Konstanz als "cosy" angekündigten Szeneclubs an der Bahnhofstrasse gegeben gewesen wären - hätte dieser nicht in Ehrfucht vor der Situation als solcher seine Pforten vor unserem Eintreffen geschlossen.
Die Heimfahrt brachte neue Erkenntnisse über den Amerikanischen Präsidenten und seine (Ver)Führungskraft und einen kurzen Abendessensbesuch in einem Schnellrestaurant mit exzellentem Leumund in der Bahnhofsgegend in Konstanz.

Dienstag, 31. März 2009

Umzug

Liebes Roktett und Freunde!
Die Homepage wechselt den Provider und könnte in den nächsten Tagen nicht unter roktett.de erreichbar sein, ebenso die dazugehörigen eMail-Adressen. Temporär findet man die Seite unter Goneos Webtest-Adresse. Dafür haben wir danach luxuriöse 750 MB Speicher, PHP und angeblich ökostrombetriebene Server. Das Blog ist selbstverständlich nicht betroffen, da blogspot-gehostet.

Viele Grüße
der fette Mezzo

PS: Was für ein abstoßend technoider Beitrag!

Sonntag, 15. März 2009

Frischer Brei vom Zug geschüttelt - Konzert der Wildwestdeutschen Philharmonie am 15.03.2009, Konzil Konstanz


Das Programm schien gar entzückend. Der Rahmen und die Begleitung waren nett. Es gab Getränke in der Pause. Man konnte vom Platz die angestrahlte Imperia ihre Vorzüge ausdrehen sehen.

Beethoven Coriolan Ouvertüre mit viel optischer Verve, matten Linien und viel Geräusch in den Bläsern, angekommen ist immer wieder ein Harfenarpeggio, obwohl in der Partitur keine Harfe notiert ist.
Prokofieff Klavierkonzert Nr. 3, der Painist (Dmitri Demiashkin) gab sich Mühe, spielte fehlerfrei. Mehr lässt sich nicht sagen. Im Orchester immer wieder undefinierbare Geräusche auch wenn der Zug nicht vorbeifuhr. Die Cellogruppe legte zwei Läufe hin, die so sicher nicht notiert waren - Klangcluster in 1/4 Tonsequenzen haben erst Nono und Boulez salonfähig gemacht.
Schostakowitsch Symphonie Nr. 5 ist nicht gerade das attraktivste Stück des Komponisten, viel Krach und Blech, und das kam selten pünktlich und gut, Harfe war hier immerhin notiert. Aber dennoch einige innige Momente zwischen den Sätzen. Wenn der erste Geiger in seinem Solo mehr als zehn richtige Töne getroffen hat, gebe ich beim nächsten Konzert einen aus.

Eindrucksvoll das Schnauben und Stöhnen des Dirigenten Mikhail Agrest, man hätte ihn darauf hinweisen können, das die Akkustik im oberen Konzilsaal zwar schlechter ist als auf einem Tennisplatz, dass man aber menschliche Nebengeräusche dennoch gut wahrnimmt, ganz besonders, wenn sie so obszön sind. Aber Mühe hat er sich gegeben.

Wir danken für einen unterhaltsamen Sonntagspätnachmittag, die Stücke waren interessant, ein bisschen sehr zäh dargeboten, aber das lag wahrscheinlich am Wetter. Bald mal wieder auf ein Neues, schließlich versuchen die Bodenseevielharmoniker ihr Bestes zu geben. Das muss man unterstützen. Rhythmischer Beilaus und Abfall.

Montag, 9. März 2009

Mehr Baß, bitte! Ein paar Emersons in St. Gallen

Ende Januar hatte David Finckel einen Bandscheibenvorfall. Das Emerson String Quartet betrachtet sich als künstlerische Einheit und spielt ohne ihn nicht im Quartettbesetzung. Schwere Zeiten für ein Streichquartett. Laut Programmheft: "Die Musiker machen aber aus der Not eine Tugend und stellen solistisch sowie in Duo- und Trioformation faszinierende Kammermusikwerke vor, die ansonsten von solch hochkarätigen Musikern schwerlich (sic!) im Konzert zu hören sind."
Trotz allen Faszinierens ist Kammermusik ohne Baß immer eine harmonisch kopflastige Angelegenheit, es gibt nicht ohne Grund nur wenig und selten aufgeführte Literatur, und die ist auch eher für den Hausgebrauch.
Zudem war das Programm des Emerson String Trios mit Ralph Kirshbaum ungefähr ähnlich konsistent wie ein Kammermusikabend der Musikschule Hintertupfingen, wenn auch besser gespielt: eine Auswahl aus Bartóks Violinduetten und das Dvořák-Terzett, garniert mit Bachs Chaconne für ein wenig Virtuosentum. Die zweite Hälfte wartete mit einen umfangreichen und tatsächlich sehr schönen Mozart-Divertimento für Streichtrio auf - da sieht man, was ein Cello ausmachen kann.
Mr. Drucker kann eindrücklich über die Bachsche Chaconne schreiben und hat die Partiten ja anscheinend auch eingespielt - seine Interpretation am Freitag wirkte nicht sehr souverän, lückenbüßerisch, "ein bißchen zu groß". Überhaupt schien "Mein Name ist Eugen" Drucker ziemlich außer Form - das ging von etlichen intonatorischen Unsicherheiten bis zum konsequent verpatzten Trillerlauf bei Mozart, wo er immerhin drei Versuche gehabt hätte. Müde sah er aus, massierte sich zwischendurch immer wieder die Finger der linken Hand. Sein Co-Primgeiger Setzer im egalitären Emerson Quartett war dagegen ziemlich unterbeschäftigt. Sollte Drucker auch noch ausfallen, müssen Setzer und Dutton dann Duett-Abende mit Haydn und Mozart geben?
Bach-Partiten höre ich auch lieber in Gänze. Statt der Chaconne hätte ich mir von Kirshbaum und Dutton die "obligaten Augengläser" gewünscht - wozu engagiert man einen Weltklasse-Ersatzcellisten, wenn man ihn nicht einsetzt? (vielleicht lag es daran, daß sein Cello laut Programmheft "sehr selten" war)
Ein Lichtblick war Lawrence Dutton, der mit enthusiastischer und leicht exzentrischer Mimik und Gestik die Bratsche traktierte; die Plätze im vorderen Parkett lohnten sich schon wegen des exzellenten Blicks auf seine Duct-tape-verzierte Notenmappe.
War es der Abend wert?
Pro: Wir waren bei IKEA. Mr. Dutton. Der Mozart-Variationensatz.
Contra: Das Programm. Müde Herren. Schneesturm auf der Rückfahrt. Etro-Sakkos sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Wir wünschen Mr. Finckel gute Besserung. Und zwar schnell.

Samstag, 7. März 2009

Doch wieder Galerie! Nikolai Tokarev und das ZKO in der Tonhalle

Gibt es das noch? Ein Konzert, das so gar keinen Grund für Negativ-Kritik bietet? Sind wir mittlerweile so arrogant geworden, dass uns diese Tatsache überrascht?

Am Donnerstag machten wir uns mit vierzehnjähriger Begleitung - ein Novum - einmal mehr auf in die Tonhalle Zürich. Es spielte das Kammerorchester unter Muhai Tang in einem seltsamerweise alles andere als ausverkauften Saal. Geht die gute Zürcher Goldküsten-Society nur ins Konzert, wenn das Tonhallen-Orchester oder jenes der Oper spielt?
Wie auch immer, wir nutzten die Gunst der Stunde. Das erste Stück - eine von Gustav Mahler für Orchester umgeschriebene Version von Beethovens Streichquartett in f-Moll op. 95 - bot mir lediglich Aussicht auf den mit Begeisterung spielenden ersten Cellisten und offenbarte doch schon das, was diesen Abend so besonders machen sollte - die unglaubliche Spielfreude dieses kleinen Orchesters, das die Vorteile einer Kammermusik-Formation mit denen eines ausgewachsenen Orchesters verbindet. In der Umbauphase vor dem zweiten Stück schmuggelten wir uns auf der Galerie links ein paar Reihen nach vorn - eine weise Entscheidung, wie sich bald zeigte. Auftritt der Solisten - der als russisches Supertalent hochgejubelte Pianist Nikolai Tokarev, der aber wesentlich sympathischer und vor allem auch glaubwürdiger wirkt als diverse (asiatische) Kollegen, und der Deutsch-Schweizer Trompeter Giuliano Sommerhalder, der die unglückliche Rolle einer "zweiten Geige" inne hatte. Gemeinsam spielten sie Shostakovichs Klavierkonzert Nr. 1 und das mit so viel Virtuosität und Spaß, dass wir absolut hingerissen waren - ganz anders als bei Konzerten etablierterer und vor allem älterer Pianisten, deren Routine häufig die Spielfreude zu beeinträchtigen scheint.
Tokarev ließ das Publikum nach einer - noch zu identifizierenden - Zugabe beinahe atemlos zurück, wir hätten ihm noch stundenlang lauschen können, wobei sich unsere jugendliche Begleitung in der Pause mit einem Autogramm auf ihrer CD tröstete - auch abseits der Bühne machten die Solisten einen äußerst allürenfreien Eindruck. Den Abschluss eines rundum gelungenen Abends bildete ein weiteres umgeschriebenes Beethoven-Quartett - jenes in cis-Moll, das uns mit diversen Ohrwürmern heimkehren ließ - und mit dem festen Willen, bald wieder ein Konzert des Kammerorchesters zu besuchen, dessen Dirigent uns mit seinem Charme und seinem Enthusiasmus völlig für sich einnahm.
Einziges Manko: die Tonhalle scheint noch immer ein größeres Problem mit ihrer Klimaanlage zu haben, die während der leisen Stellen des zweiten Beethoven unschön dröhnte.
Kann da mal jemand was dagegen tun, bitte?

Donnerstag, 26. Februar 2009

Roktett reloaded


Liebes Roktett!
Ich bin gerade dabei, die Homepage dezent zu aktualisieren. Dazugekommen sind Eigenwerbung für Muggen, bessere Künstlerphotos (Achim Fischer sei Dank), außerdem habe ich in ein paar Charakterisierungen rumgeschweint. Wer Einwände oder Anregungen hat, möge sich melden.

Samstag, 21. Februar 2009

Berliner Luft in Zürich



Nachdem wir keine Karten für Sir Simon und seine Band mit Bruckner und Messiaen mehr ergattern konnten, nahmen wir heute mit den Schweizern aus der selben Gang vorlieb.
Sehr gespannt blickten wir auf das Programm, das auch eine Komposition des Cellisten David Riniker enthielt, der selbst Mitglied der Berliner Philharmoniker und selbstverständlich Schweizer ist.

Auftakt war das g-Moll Quintett von Mozart. Für den Komponisten wohl ein eher düsteres Stück und wahrscheinlich in der Tat das düsterste dieses Nachmittags, abgesehen von der Fasnachts-"Musik", die derzeit vor unserem Fenster ihr Kreise zieht - welch Absturz nach einer so wundervollen Bereicherung!
Leider konnten die Fünf bei diesem Mozart das Fehlen eines Dirigenten nicht verbergen. Das Stück wirkte durchweg und vor allem in den schnellen Sätzen klapprig und man hatte den Eindruck, als hätten sie das noch nicht sehr häufig zusammen geprobt. Besonders die erste Geige Bettina Sartorius schien mit ihrer Stimme zu kämpfen und eher gegen das Stück und die anderen zu spielen. "Simon, we need you!" Überhaupt wirkten die überwiegend jüngeren Musiker durch das ganze Programm extrem schüchtern und unerfahren als Solisten, was für das berühmteste Orchester der Welt kurios erscheint. Immerhin haben sie sogar einen Noten-vom-Pult-Abhol-Service. Das gibt es nicht einmal bei den Emersons!

Weiter ging es mit dem Werk des Cellisten. Als eine Art Reminiszenz an Mendelssohn, Brahms, Bruckner und Konsorten - jedenfalls passend zum Programm - schrieb er das Stück für eine Besetzung, so dass alle Schweizer der Berliner zum Zuge kamen - dadurch leider etwas schwach im Bass. Diesmal mit Christophe Horák an der ersten Geige, wobei sich diese bei Rinikers Werk kaum von den anderen abheben sollte. Es bestand zum großen Teil aus gesprächsartigen Zuwürfen von Subgruppen des Septetts. Insgesamt ein eher amüsantes Stück, aber so war es wohl auch vorgesehen. Ein Cellosolo hat sich der Komponist freilich auch noch eingebaut und man sah allen Spielern des Spaß an, der sich auch auf das schmunzelnde Publikum übertrug. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: das war keine Unterhaltungsmusik, nur auf witzige Art und Weise gesetzt. Kompliment!
Bleibt die Frage: wo bekommen wir die Noten her?

Es folgte ein für mich unbekanntes Werk von Ernö Dohnányi, ein impressionistisches Trio. Naiv gesagt klang es wie eine Mischung aus Brahms und Shostakovich und bot so eine ideale Überleitung von der Romantik zu unserem geliebten Russen. Die Geige diesmal Aline Champion, welche brilliant spielte, jedoch ebenso schüchtern wirkte. Liegt es daran, dass die Leute nicht von den ersten Pulten kommen? Ein wunderbar fetziges Scherzo, der in mit einem falschen Fortissimo-Ton Champions endete, was bei ihr zu einem verlegenen Lächeln und beim Publikum zu verfrühtem Applaus führte. Oder gehörte das etwa so?

Beim Oktett von Shostakovich half der Cellist Thomas Grossenbacher von der Tonhalle Zürich aus, an der ersten Violine wieder Horák. Zu diesem Stück kann ich nur eines sagen: genial und typisch Shostakovich! Besonders in Erinnerung blieb mir die Stelle im Finalsatz, in der die Geigen in der Tonhöhe versetzt das Thema spielen, was zu einem interessanten Effekt führte. Das Stück wurde präzise vorgetragen und vermittelte dem Hörer eingehend das Finstere und Depressive im ersten und das Aufbrausende im zweiten Teil des Oktetts.

Als Zugabe gab es
Das macht die Berliner Luft Luft Luft...
angekündigt durch den Cellisten auf Schweizerdeutsch und das Publikum klatschte mit. Irgendwie scheint das langsam zu jedem Konzert dazu zu gehören. Auf dem Weg zum Parkhaus wurde auch schnell klar, welche Melodie noch eine Weile im Kopf bleiben wird. Ein Ohrwurm aus Berlin.

Dienstag, 3. Februar 2009

Happy Birthday!

Auf die nächsten 200 Jahre, alter Freund!

Warum man sein Handy im Konzert ganz ausschalten sollte

Beethoven, Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur, Adagio un poco mossoDer Pianist ergriff die Flucht nach vorne ins Rondo.

Donnerstag, 29. Januar 2009

Trübe, zunehmend heiter: Sol Gabetta in Friedrichshafen

Schon in der Zufahrt zum Parkhaus stauten sich die dicken Limousinen - Friedrichshafen (über 50) strömte im Sonntagsstaat ins Zeppelinhaus. Etwas erstaunlich für ein Kammerkonzert, auch wenn die Solistin jung, zierlich und blond und nebenbei auch eine exzellente Cellistin ist.
Oh. Doch die "Wiener Johann Strauss Gala".
Zwei Stunden Walzer am Stück würden einige von uns in die Nervenklinik befördern. Der weniger widerstandsfähige Teil des Publikums ging also in den Ludwig-Dürr-Saal, wo Gabetta mit dem finnischen Pianisten Henri Sigfridsson Werke von Beethoven, Schostakowitsch, Franck und Ginastera spielte.
Später Beethoven (op. 105/2) ist wohl weder für Publikum noch für Solisten etwas zum Warmspielen. Gabetta schien sich nicht sonderlich wohlzufühlen, sie spielte akzentarm, abgehoben und karg; von Cello weggeneigt, als sei es ein Fremdkörper, das Gesicht zu einer Leidensgrimasse verzogen, weder mit dem Pianisten noch dem Publikum im Dialog.
Vielleicht verzweifelte sie am Raumklang. Der Saal, holzgetäfelter Seeschwabenchic, war eine akustische Sahara, das Cello wurde vom Flügel plattgewalzt (hätte man den nicht etwas zuklappen können?), der obendrein in den tiefen Bässen ziemlich verstimmt zu sein schien. Senza-vibrato-Bögen klingen in so einem Ambiente einfach kläglich.
Der Schostakowitsch (op. 40) geriet besser, besonders in den schnellen Sätzen. Gabetta hat offensichtlich eine Vorliebe für Schostakowitsch, wenn man sich ihre CD- und Konzertprogramme ansieht - oder ihr einfach beim Spielen zusieht. Bei flotteren Tempi führt sie mit dem Cello wahre Tänzchen auf, aber leider schien sie auch diesmal bei zarteren Passagen Mühe zu haben.
Nach der Pause war die Solistin wie ausgewechselt - konzentriert statt gequält, mehr zum Klavier gewandt. Cesar Francks umgearbeitete Violinsonate mag kein so starkes Stück wie der Schostakowitsch sein, war aber durchweg gut geraten, voll spätromantischem Schmelz.
Ebenfalls häufig im Programm ist Ginasteras Pampeana Nr. 2: sie spielt das Stück mit Verve, Liebe und technischer Brillianz, aber trotz allen modern-folkloristisch technischen Feuerwerks scheint das Stück selbst kaum mehr als eine musikalische Leibesübung.
Als Zugabe spielte man Castelnuovo-Tedescos Version des Largo al factotum. Ein Stück, das gerne Gefahr läuft, zu einer reinen Virtuosennummer zu werden, war bei Gabetta umwerfend komisch - in einem Affenzahn, der jeden Sänger erbleichen ließe. Baritonale Erdung gab der Pianist mit einem geschmetterten "Figaro", das sogar die Cellistin aus der Fassung brachte.
Applaus und Blumen. Aus dem großen Saal wehten sanfte Walzerklänge - wir ergriffen die Flucht.

PS: Sie trägt immer noch das silberne Negligé. Wann kommen eigentlich die Skride-Schwestern mal wieder vorbei?

Donnerstag, 22. Januar 2009

Messiaen, Schumann und Beethoven in Konstanz

Eine illustre Gesellschaft hat sich versammelt, darf man der Überschrift Glauben schenken, wobei man davon ausgehen muss, dass sich die drei Herren - wären sie tatsächlich anwesend gewesen - äußerst besorgt über den Gesundheitszustand der Konstanzer Bevölkerung gezeigt hätten. Die Grippe scheint ausgebrochen zu sein, anders lässt sich das permanente Husten und Niesen nicht erklären. Oder war das Publikum etwa unhöflich?
Das zumindest scheint der wackere Dirigent Vassilis Christopoulos angenommen zu haben, als er sich während Schumanns Cellokonzert in a-Moll mit düsterer Miene umdrehte und böse blinzelte, etwas, was man dem mit Begeisterung dirigierenden Griechen kaum zugetraut hätte.
Das Programm war solide, aber nicht überwältigend, Messiaen nach meiner bescheidenen Auffassung eine gelangweilte Aneinanderreihung von Tönen mit einem winzigen Ausbruch, Schumann etwas unstrukturiert, was nicht nur an den Attacca-Sätzen gelegen haben dürfte. Der Cellist strauchelte einmal deutlich, von unseren Plätzen (17. Reihe links) war leider nicht zu erkennen, woran es lag, wir vermuten, er ist am Cello hängen geblieben. Seine Zugabe (Bach - gibt es eigentlich noch jemanden, der als Zugabe NICHT Bach spielt?) war etwas kitschig angehaucht, mit ausuferndem Vibrato können sich Bach-Puristen nur schlecht anfreunden.
Nach der Pause (der Dirigent und die Hälfte der neuen Uni-Orchestergeneration waren anwesend, wobei der Schwerpunkt deutlich auf der Cellisten-/Kontrabass-Ecke lag) ging es weiter mit Beethovens 6. Symphonie, schön, aber das war es auch schon, keine großen Überraschungen, mir persönlich einfach zu fröhlich, das Gewitter im vierten Satz hätte gerne länger dauern dürfen, haben wir zu häufig Brahms gehört oder warum brauchen wir die düsteren Kracher?
Allerdings ist ohnehin anzunehmen, dass diese im Konzil ihre Wirkung verlieren würden, die Akustik ist ein Graus, das ist zwar nichts Neues, aber schön wäre doch, würde sich daran einmal etwas ändern.

Sonntag, 18. Januar 2009

Geliebte Clara

Über falsche Opuszahlen im Abspann wollen wir uns nicht aufregen, das wäre pedantisch. Aber dass den Zuschauern solche relativen Kleinigkeiten auffallen, lässt tief blicken, was die vorausgegangenen knapp zwei Stunden betrifft.
Was haben wir?
Einen fulminanten Beginn - Martina Gedeck als Clara Schumann spielt das Klavierkonzert ihres Mannes Robert, der am Rand des Konzertsaales steht, verzückt lächelnd, mit seinem Ehering spielend, der prompt runterfällt. Zoom auf Johannes Brahms, einen hübschen, sommersprossigen Jüngling, Clara ebenfalls verzückte Blicke zuwerfend. Er nimmt verträumt den Ehering an sich, Robert reißt ihn ihm aus der Hand, erzürnt.
Wir waren noch immer frohen Mutes und der Hoffnung, dass uns die Symbole im weiteren Filmverlauf nicht mehr mit dem Holzhammer eingemeißelt werden.
Nächste Szene: Brahms spielt in einer Hamburger Hafenkneipe seine Stücke, das Publikum ist begeistert, Clara ebenfalls, Robert rauscht beleidigt ab und auch unsere Begeisterung hält sich in Grenzen, als beim Klaviertrio in H-Dur plötzlich das Cello fehlt (aber ehrlich: wer braucht schon ein Cello?).
Es folgt ein Besuch des Wunderkindes Johannes bei Familie Schumann in Düsseldorf. Dass dort der Haussegen schief hängt, ist bereits klar geworden, als Clara von Robert gefragt wurde, ob es ihr denn nicht mehr reiche, sein Frauchen zu sein.
Offensichtlich nicht.
In der Folge wird Roberts Vorliebe für schlechten Rotwein äußerst deutlich (Holzhammer, siehe oben), im Suff schlägt er seine Frau, die es mit waidwundem Blick erträgt und nebenher weiterhin von Johannes angeschmachtet wird, der sich nicht entscheiden kann, ob er die Situation regeln oder mit den Kindern spielen soll, die er zu seinen Ungarischen Tänzen tanzen lässt, anstatt ihnen Gute-Nacht-Geschichten zu erzählen.
Robert ist neben seinen Wahnvorstellungen und seinem Alkoholismus damit beschäftigt herauszufinden, ob er denn besser auf Clara oder auf Johannes eifersüchtig sein soll, und wenn er dirigiert, sieht er aus, als wolle er jemanden mit dem Taktstock erdolchen, aber über solche Dinge ließe sich hinwegsehen, wären die Charaktere einigermaßen überzeugend gezeichnet. Kein Mensch erwartet, dass ein Film realistisch ist (wir sind in diesen zwei Stunden bescheiden geworden), aber dass Johannes Brahms am Tag nach seinem Einzug bei Schumanns halbnackt in Claras Zimmer kommt, wo sie im Nachthemd Klavier spielt, unter den Flügel kriecht und ihre Füße streichelt, das entbehrt jeglicher Grundlage und zeugt nicht von Respekt oder auch nur Wissen um die gesellschaftlichen Begebenheiten in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.
Martina Gedeck macht in weiten Teilen des Filmes ein Gesicht, als ahnte sie Böses und würde bitter bereuen, die Rolle angenommen zu haben, wobei sie mit Abstand am Überzeugendsten ist, auch wenn ihre Rolle auf die Aufopferung reduziert wird, die Clara dem kranken Robert entgegen bringt. Brahms ist über weite Teile ein richtig netter Kerl, aber genau aus diesem Grund nicht realistisch, und Schumann ist ein Versager, ein Säufer, eine Karikatur seiner Selbst und seiner tatsächlichen Krankheitsgeschichte.
Es stellt sich die Frage, ob die Regisseurin, die laut Werbung eine Nachfahrin (!) von Johannes Brahms ist, sich überhaupt mit der zahlreichen Literatur, die es zu diesem Thema gibt, beschäftigt hat, von den logischen Lücken im Plot (Vorgeschichte? Warum komponiert Clara nicht mehr? Was hat es mit Roberts "Stimmen" auf sich?) und der Unfähigkeit, die Handlungen der Figuren begreifbar zu machen, ganz zu schweigen.
Es ist besonders traurig, dass ein Stoff, der unendliche Möglichkeiten für einen grandiosen Film böte, so verarbeitet wurde, dass sich während der nächsten Jahre vermutlich kein Mensch mehr an die Thematik wagen wird.

Mittwoch, 14. Januar 2009

Good news again!

Kleiner Nachtrag - wir haben Friedrichshafen ebenfalls ins Programm aufgenommen.

Mittwoch, 28. Januar
Sol Gabetta und Henri Sigfridsson
Ludwig van Beethoven - Sonate für Klavier und Violoncello Nr. 5 D-Dur op. 102/2
Dimitri Schostakowitsch - Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll op. 40
Cesar Franck - Sonate für Violoncello und Klavier A-Dur
Alberto Ginastera - Pampeana Nr. 2 op. 21 Rhapsodie für Violoncello und Klavier
Graf-Zeppelin-Haus, Friedrichshafen
Karten: gibt's für zwanzig Euro und werden am 19. Januar bestellt

Donnerstag, 14. Mai:
Kirill Gerstein, Royal Philharmonic Orchestra
W. Walton: Partita für Orchestra (1957)
F. Liszt: Konzert Nr. 1 Es-Dur
J. Brahms: 2. Sinfonie D-Dur op. 73
Graf-Zeppelin-Haus, Friedrichshafen
Karten: gibt's für 20 Euro und werden vermutlich Anfang April bestellt, falls es sich mit den Orchesterproben vereinbaren lässt

Sonntag, 11. Januar 2009

Good news, everyone!

Bildungsprogramm für die nächsten Monate:

Freitag, 20. Februar:
Sir Simon Rattle, Berliner Philharmoniker
Olivier Messiaen - Et expecto resurrectionem mortuorum für Blasorchester und metallenes Schlagzeug
Anton Bruckner - Symphonie Nr. 9 d-Moll WAB 109
Tonhalle Zürich
Karten: ausverkauft, Johannes schaut, ob er noch welche organisiert bekommt

Freitag, 6. März:
Emerson String Quartet
Joseph Haydn - Streichquartett Op. 74/1
Anton Webern - Bagatellen Op. 8
Béla Bartók - Streichquartett Nr. 3
Antonin Dvorak - Streichquartett Nr. 14 As-Dur op. 105
Tonhalle St. Gallen
Karten: kosten je nach Wunsch 16, 32, 38 oder 47 Franken und werden am 16. Januar bestellt

Sonntag, 29. März:
Hagen Quartett
Ludwig van Beethoven - Streichquartett Nr. 5 A-Dur op. 18 Nr. 5
Joseph Haydn - Streichquartett B-Dur op. 76 Nr. 4 Hob. III:78
Ludwig van Beethoven - Streichquartett Nr. 8 e-Moll op. 59 Nr. 2 Rasumowsky
Tonhalle Zürich (kleiner Saal)
Karten: kosten je nach Wunsch 20, 35, 50, 65 oder 75 Franken, bei Interesse bis 1. Februar melden!

Sonntag, 5. April (11.15 Uhr):
Kammermusik-Matinée
Joseph Haydn - Streichquartett d-Moll op. 103 Hob. III:83
Felix Mendelssohn - Stücke op. 81 für Streichquartett
Max Bruch - Oktett B-Dur op. posth. für Streicher
Tonhalle Zürich (kleiner Saal)
Karten: kosten 25 Franken, bei Interesse bitte bis 1. Februar melden!

Samstag, 2. Mai (16 Uhr):
Hagen Quartett, Antoine Tamestit (Viola)
Ludwig van Beethoven - Streichquartett c-Moll op. 18/4
Béla Bartók - Streichquartett Nr. 1 a-Moll op. 7
Johannes Brahms - Streichquintett G-Dur op. 111
Markus-Sittikus-Saal Hohenems
Karten: kosten 39 Euro, bei Interesse bitte bis 1. März melden!

Donnerstag, 18. Juni:
Belcea Quartett, Valentin Erben (Cello)
Franz Schubert - Streichquartett d-Moll D 810 Der Tod und das Mädchen
Franz Schubert - Streichquintett C-Dur D 956
Angelika-Kauffmann-Saal, Schwarzenberg
Karten: kosten 39 Euro, bei Interesse bitte bis 1. März melden!

Donnerstag, 3. September:
Tokyo String Quartet
Ludwig van Beethoven - Streichquartett G-Dur op. 18/2
Franz Schubert - Streichquartett B-Dur D 112
Ludwig van Beethoven - Streichquartett F-Dur op. 59/1
Angelika-Kauffmann-Saal, Schwarzenberg
Karten: kosten 39 Euro, bei Interesse bitte bis 1. Juli melden!

Sonntag, 18. Oktober:
Kuss Quartett, Paul Meyer (Klarinette)
Johannes Brahms - Streichquartett B-Dur op. 67
Johannes Brahms - Klarinettenquintett h-Moll op. 115
Markus-Sittikus-Saal Hohenems
Karten: kosten 35 Euro, bei Interesse bitte bis 1. Juli melden!

Freitag, 9. Januar 2009

Weihnachtsoratorium Zürich, 21.12.2008

Reichlich früh galt es sich auf den Weg zu machen, aber für alle sechs Kantaten und Riccardo Chailly nimmt man in der Vorweihnachtszeit schon ganz gerne seine vier Reifen und zwei Begleiterinnen in die Hände und macht sich auf in die Tonhalle. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es hat sich gelohnt, ich habe bisher in toto weder auf der Platte noch live ein besseres Weihnachtsoratorium des Johann Sebastian Bach gehört.
Martin Gantner lag mit Grippe im Bett, an seiner Stelle sang Reinhard Mayr mit viel Engagement die Basspartie, es sei ihm verziehen, dass er dafür etwas weniger Stimme hatte und mit den Ansichten des Maestro hinsichtlich des Tempos nicht immer konform zu sein schien. Er phrasierte klug und setzte seine Stimme - der freundlichen Akkustik sei es gedankt - oratoriengerecht ein, wenn auch gesagt sein soll, dass mangelndes Volumen nicht störend sein muss, solange der Sänger nicht versucht über ein pumpendes "passer par gorge" solches außerhalb der Stütze zu erzeugen.
Johannes Chum konnte als Tenor absolut überzeugen, hat man eine Vorliebe für idiomatischere Stimmen, mag man sein etwas papyrales tenorales Timbre beklagen, andererseits dürften sich Stimmen mit mehr Erdung recht schnell in den Bachschen Koloraturen totgelaufen haben. "Fisteln" kann man dem jungen Tenor sicher nicht vorwerfen, und die Stimme kann ja im Laufe der Zeit noch etwas wachsen. Textnah die Rezitative und technisch brilliant und doch berührend die Arienteile.
Die undankbarste Partie im Bachschen Weihnachtsspiel ist die Sopranpartie: Erst sitzt man eine Ewigkeit, dann soll man als 13. Ton überhaupt ein hohes A singen - und dann wieder ewig nichts, bis man schließlich durch eine Duett mit dem Bass erlöst wird. Martina Janková hat all dies getan, und zwar ganz wunderbar: Man wird in großer Freude durch das A entrückt von einer glockenklaren Stimme, die wenn auch nicht groß, doch so ausgezeichnet geführt ist, dass man Rainhard Mayr fast ein bisschen beneidet, dass er ein Duett mit diesem reinen Läuten singen darf.
Mehr ein schlankes Mezzofließen als einen reißenden Alto steuert Wiebke Lehmkuhl dem Sängerquartett bei, und das tut dem Oratorium sehr gut: Die Stimme ist musizierender Teil des Orchesters und wird nicht als Fremdkörper wahrgenommen, technisch einwandfrei und locker gesungen verlieren die Altarien der ersten Teile ihre subjektiven Längen, ohne auch nur einen Hauch ihrer Sinnlichkeit einzubüßen.
Ein wirkliches Erlebnis war die Darbietung des Dresdner Kammerchores: Technisch über jeden Zweifel erhaben mit vollen und jungen Stimmen, perfekte Koordination, intuitives Aufeinandereingestelltsein und für jeden Fingerzeig des Maestro sofort auf dem Plan. Einzig die Tenormannschaft fiel - diese Kritik grenzt jetzt an Sophismus - etwas durch hechelige Maschinengewehrgeräusche in raschen Koloraturen auf; die ist sicherlich der Höhe der Töne geschuldet und den nicht unbedingt Hollraiserschen Tempi des Dirigenten.
Das Orchestra La Scintilla (sagen wir die Barock-Combo des Opernorchesters Zürch) zeigte eine im Ganzen geschlossene Leistung auf sehr hohem Niveau: Reaktionsschnell und sicher im Zusammenspiel wurde Bach eine nahezu sehr schöne Grundierung geschenkt. Es solllen allerdings doch drei Dinge angemerkt sein: Man hört einfach, dass nicht überall Leute spielen, die absolut auf die barocke Spielweise eingestellt sind, so dass hier und da Töne begegnen, die sich in der Partitur nicht oder an anderer Stelle wiederfinden - aber wie gesagt: Kritik auf allerhöchstem Niveau, man dürfte das selten besser zu hören bekommen. Und dann: Warum muss Ada Pesch hier mitspielen? Seit einem abgrundtiefen Violin-Solo in Massenets Werther verfolgt mich dieser drahtige wackelige Geigenton, da muss sich doch Besseres finden lassen - was man übrigens im Duett mit Kea Hohbach (Violine 2) deutlich hören konnte. Schließlich konnte man bei Simon Lilly an der ersten Trompete nie ganz genau sagen, ob er nun Zierwerk oder einfach nur voraus oder hinterher spielte, in Zukunft doch einfach ein paar Ventile mehr oder jemanden, der es eben kann.
Maestro absoluto nennen die Mailänder Riccardo Chailly und hätten ihn so gerne für die Scala gehabt, dass er nicht wollte, spricht für ihn, wie alles andere auch: Absolute Präzision, volles Textbewusstsein und ein beängstigendes Gespür für den natürlich Atem der Musik haben mich persönlich wieder einmal zutiefst beeindruckt. Trotz der doch deutlichen zeitlichen Ausdehnung der sechs Kantaten wird man von Chaillys Musizieren derart aufgesaugt, dass man am Ende fast böse ist, dass es nicht weitergeht. Im Ganzen musiziert er recht flott, aber ohne die technischen Grenzen seiner Musiker auszureizen, und vor allem nicht aus Prinzip: Jedes Stück bekommt seinen eigenen Pulsschlag, der sich wie durch ein Wunder auf den Saal überträgt und die Musik fast greifbar in den Raum stellt. So wunderbar und so ergreifend habe ich vor allem die hypertrophen Bachschen Choräle noch nie musiziert gehört: Vom strahlend, ja gleisend anbrechenden Morgenlicht bis zum in Selbstaufgabe verzückenden Krippenlied, totale Musikalität. Oh möge er doch neuer GMD des Opernhauses werden!
Als kleiner Wehmutstropfen darf bemerkt sein, dass es von organisatorischer geistiger Insuffizienz zeugt, wenn man gerade mal 300 Programme bereit hält und die 1100 Konzertbesucher bei Kartenpreisen um die 120 SFR nur durch finstere Umwege zu Programmen kommen lässt. Das sollte sich das Opernhaus in Zukunft doch bitte nicht mehr leisten, auch wenn man außer Haus in der Tonhalle spielt. Aber fragt man danach, wenn man am Ende doch noch mit Programm verzückt in der Poltronissima sitzt und sich beschwingt auf den sonntäglichen Heimweg macht?