Sonntag, 31. August 2008

Saisoneröffnung in Zürich - Première von "Artifact"

Das Opernhaus Zürich hat seine Spielzeit mit einer Ballettchoreographie von William Forsythe eröffnet, die den schönen Namen "Artifact" (Erstaufführung 1984 in Frankfurt) trägt. Zu Klaviergespiel nach Musik von Bach, Busoni und Eva Crossmann-Hecht ( muss man nicht kennen) gab es jede Menge Bewegung von sicherlich schönen Körpern und lachendem Licht.
Mangels Kompetenz schweigt der Wissende über Qualität und Deutung, beschränkt sich auf die Aussage, dass alles nett anzuschauen war und Bachs Musik unkaputtbar ist.

Eine Besuchsempfehlung nur für Freunde des Klavierspiels und des Kunstballettes ohne erkennbare Handlung.

Weitere Aufführungen am 2., 4., 7., 13., 28. und 30.09.08, am 2., 8., 26. und 31. 10.08, sowie am 8.11.08 und am 2.01.09.

Montag, 25. August 2008

Zwei Augen sind sowieso besser als eins!


...und damit hätten wir Bregenz auch schon hoffnungslos überflügelt. Zugegebenermaßen ist ihres größer.

Auch wenn mir Holly Cat netterweise eine professionelle Kritik zutraut - über die Leute, mit denen ich 3 Wochen zusammengespielt habe, mag ich jetzt doch nicht lästern. Also gibt es jetzt eher ein bißchen Backstageklatsch aus Sicht des letzten Geigenpultes.

Üblicherweise verstört Peter Bauer die Konstanzer mit unbekannten Komponisten auf dem Plakat ("Nein, nein nein, Don Giovanni ist schon von Mozart - Gazzaniga ist der Librettist!"), überrascht dann aber mit kurzweiligen bis eindrücklichen Bühnenwerken. Hinlänglich bekannt ist auch seine Abneigung, Honoratioren einen "netten, kleinen Mozart" in den Rachen zu werfen (vgl. Henze zum Uni-Jubiläum).
In diesem Jahr gab es den netten kleinen Mozart - und er erwies sich als ziemlich spröde. Mit Zaïde sollte eine deutsche Oper etabliert werden, blieb aber Fragment - anscheinend war den Wienern der Stoff zu ernst. Vom Libretto ist zum Glück nicht viel übrig (die Arientexte sind schlimm genug), eine Ouverture gibt es genau so wenig wie einen Schluß. Das Material besteht aus durchaus schönen Arien und Ensembles, die aber die Handlung kaum vorantreiben.
Insofern hat die Regie mit den Stück im Wesentlichen Narrenfreiheit. In Konstanz gab es eine poetisch-vage Fassung mit Lyrikintermezzi statt Dialogen (was soll am Hohen Lied eigentlich so anstößig schlüpfrig sein?), die nicht nur beim Publikum bisweilen auf Unverständnis stieß ("Also ich bin am Ende anscheinend der Regisseur, der allen kündigt...?"). Mir schien es mehr Opernessay als Musikdrama - mit feinsinniger Textauswahl und einigen organisatorische Hürden in der Regie. Ich denke an eine Probe, in der der Bariton den Einsatz nach einer Fermate zunächst nur sehr wacklig zustande brachte, was vermutlich daran lag, daß er gleichzeitig unter großem Schaumeinsatz rasiert wurde. PB in aller Ruhe: "Kann man den Bart nochmal ankleben und das wiederholen?" Die Maske trug es mit Fassung.

A propos, "Stockholm, Stockholm, ich fahr nach Stockholm" - statt Mozart gibt es jetzt, kaum geprobt, Poulenc und Martin. Es verspricht, interessant zu werden.

Sonntag, 24. August 2008

Zaide oder: das Auge hört mit

Augen scheinen in diesem Opernsommer am Bodensee höchstes Ansehen zu genießen. Nachdem das Auge schon bei Tosca wortwörtlich der Dreh- und Angelpunkt war, hat nun ein Paar nicht wirklich orientalischer Augen die Aufmerksamkeit auf die Zaide der Rathausoper gelenkt.
Zaide ist ein Vorläufer der Entführung aus dem Serail, ein Fragment, was viel Raum für Interpretation lässt - und für von Schauspielern gesprochene Texte, die man in einer herkömmlichen Mozart-Oper vermutlich nicht zu hören bekäme.
Die musikalische Beurteilung überlasse ich dem Blogeintrag einer Beteiligten, das erspart Peinlichkeiten, zu loben ist allerdings die wunderschöne Atmosphäre im Rathaushof - gesetzt den Fall, das Wetter ist gut genug, so dass man nicht ins Theater ausweichen muss - und die Inszenierung, die diesmal von bunten Flatterkostümchen und allem ansatzweise hysterischen (siehe die Aufführung vor zwei Jahren) abgesehen hat.
Der besondere Charme lag vielleicht auch am Besuch der Dernière mit einigen Späßen, die vermuten ließen, man habe die Handlung der Zaide nach Indien verlegt und besonderer Schwierigkeiten, mit denen Teile des Orchesters zu kämpfen hatten, über die des Schreibers Höflichkeit aber schweigt, schließlich waren sie nicht musikalischer, sondern zerstreuter Natur.
Die teilweise etwas "schlüpfrigen" Texte (Originalton zweier - zur Hälfte beteiligter - Cellisten) kamen beim jüngeren Publikum sehr gut an, die älteren Gäste waren etwas weniger überzeugt, was durchaus im Rahmen des Erträglichen ist, in Konstanz muss die jüngere Generation genug ertragen, was wiederum ein anderes Thema ist.
Bevor mich die Inspiration ganz verlässt, überlasse ich den Platz einer weitaus professionelleren Kritikerin und spare mir die schweren Geschütze für Berichte über zwei Konzerte in Berlin in der ersten Septemberwoche auf.
Ach ja: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin...

Dienstag, 19. August 2008

Wie soll man bei dem Krach auch schlafen können...?

"Nessun dorma" geht wieder um - die Große Untote unter den Bravourarien. Nachdem leise Hoffnung bestand, sie zusammen mit Pavarotti vorläufig in die Grube geschickt zu haben, verhilft ihr ein englischer Handyverkäufer mit schiefen Zähnen zu frisch erstarkter Prominenz.
Folgende Kostbarkeit fand sich an der Spitze der deutschen Amazon-Klassikcharts:Wird sich die Telekom neben der Farbe Magenta demnächst auch Puccini gesetzlich schützen lassen?
Auf den nächsten Plätzen folgte eine Flut von Puccini-Kompilationen - Nessun-dorma-Versionen von allen Drei Tenören (die können es wenigstens). Dazwischen, sehr vereinzelt: singende Mönche, der ubiquitäre Lang Lang und natürlich "Baby Classics - Nur das Beste für mein Baby".

Paul Potts ist ja auch ganz rührend, singt für einen Semi-Amateur nicht schlecht und paßt perfekt ins Triumph of the Underdog-Klischee; aber seine Einspielung gehört nicht zu den Dingen, auf die die Welt gewartet hat.
Rezensenten (z. B. Amazon.de) führen zu seiner Verteidigung an, daß er Oper und Klassik für ein neues und jüngeres Publikum erschließt. Dem kann ich mich nicht anschließen: Potts bringt die hoi polloi genau so wenig zum Klassikhören wie J.K. Rowling die Kinder zu Literaten macht. Von aus dem Kontext gerissenen Puccini-Arien ist der Weg zu Beethoven-Quartetten nicht signifikant weiter als z. B. von Ronan Keating. Die Nestlé-Werbung mit Carmina Burana hat auch noch niemanden zu Strawinsky bekehrt.
Ganz abgesehen davon sollen die Leute hören, was ihnen Spaß macht - klassische Musik ist doch keine intellektuelle Pflichtübung!

Auf Platz 12 der Charts fand sich übrigens die Zubin Mehta-Gesamteinspielung von Turandot mit Sutherland, Caballé und Pavarotti in den tragenden Partien - vielleicht zieht da doch der Potts-Faktor. Allerdings frage ich mich, vieviel Spaß ein Castingshows gewöhnter Opernneuling an einer dreistündigen Kopf-ab-Oper mit einer herb timbrierten Hochdramatischen in der Titelrolle, seltsamer Handlung, hirnlos agierenden Protagonisten (Calaf, Liù) und fragmentarischem Schluß haben wird.

Weit oben auf meiner "Nessun dorma"-Hitliste steht übrigens die Version von Manowar. Wer braucht da noch einen Paul Potts?

Freitag, 15. August 2008

Melodramma eroi-comico mit obligatem Bleßhuhn

oder: Das Auge ißt mit

Wer nach Bregenz fährt, muß sich einlassen können: auf "Technik, die begeistert" statt musikalischer Kammerspiele, Beschallung aus Lautsprechertürmen, Durchsagen, die auch vom Stadionsprecher kommen könnten ("Wir danken den Sängern für diese tolle Show unter schwierigen Bedingungen..."), Trockeneisnebel, Stuntmen und Lightshow - ein gewaltiger Schieß-Budenzauber inklusive Füsillade und Ministrantenmassaker.

Dafür gibt es aber auch das volle Programm - den berühmten Sonnenuntergang, den speziellen open-air-Charme, dazu ein eigentlich hochklassiges Ensemble. Und Tosca, dieser dreckig-opulente Opernkrimi, paßt in das Ambiente.

Ich hatte spontan am Vortag noch eine Karte in der Proletenkategorie ganz unten rechts ergattert. Akustik und insbesondere Beleuchtung waren teilweise verheerend: so blendeten die Scheinwerfer und die Soloklarinette hatte ein unangenehmes Echo. Auf den billigen Plätzen versagt auch die Surround-Akustik, sodaß alles ziemlich irritierend ohne Raumklang nach Konserve von links klingt - und die könnte ich vor meiner Stereoanlage besser genießen. Immerhin bekam man die eindrucksvollen Bühneneingeweide hier aus nächster Nähe zu sehen, ebenso die Dirigenten-Videoübertragung für die Akteure.
Die angeblich geräuschlose Hydraulik zischte immer wieder vernehmlich in die Entr'actes hinein. Die Bühne ist zum Teil extrem hoch gebaut, sodaß man in manchen Szenen - wenn überhaupt - gerade noch die Köpfe der Sänger sah. Die Inszenierung verläßt sich nicht sonderlich auf direkte Interaktion zwischen den Sängern, die Distanzen sind gewaltig. Im ersten Akt fährt man auf einer Malerbühne am Auge auf und ab, Tosca verbringt den gesamten 3. Akt mehrere Meter über Cavaradossi, der läuft an einer langen Kette über die Riesenpupille und hätte damit das Schild "Vorsicht, bissiger Tenor" verdient. Die aufwendigen Videoprojektionen tun ihr Übriges, von den Sängern abzulenken. Bregenz eben.

Sänger
Tosca (Babajanyan): In den dramatischeren Forte-Partien fand ich ihr Vibrato manchmal etwas aufdringlich ("da kann ein Löwe durchspringen") - dafür sang sie ein lyrisch-butterweiches "Vissi d'arte". Wäre ich kein zynischer Naturwissenschaftler, hätten mir die Tränen kommen können.
Cavaradossi (Sandoval): eine äußerst schöne Stimme, vom Lyrischen bis zum Heroischen, manchmal fast zu schön (Puccini ist doch schon kitschig genug). Die dreifache Fermate auf dem Vittoria-Brüller war allerdings bis ins Unerträgliche gezogen - wollte er einen Rekord brechen oder fand er den Weg vom hohen Ais nicht mehr herunter?
Scarpia (Sidhom): überzeugte mich nicht so sehr, für mich ist die Figur gerade im Zusammenspiel mit Tosca zynisch-schmieriger Pseudo-Galan und nicht einfach nur (auch stimmlich) brutal.

Zum Bühnenbild sage ich jetzt mal nichts, das hat Holly Cat ja schon kritisiert.

Kostüme: Der wahre Folterknecht muß hier am Zeichentisch gesessen haben. Ob feuerwehrrotes Jackett zu Burgunderhosen und gestreiftem Seidenhemd (Cavaradossi) oder volant- und glitzerbewehrte Alpträume in pink (Tosca), es wurde keine Grausamkeit ausgelassen. A propos: welchem Bond-Film ist eigentlich die kurvige Folterdomina im grauen Glanzkostümchen entsprungen?
Einzig Spoletta trug stilsicher einen zeitlosen Trenchcoat, was in Anbetracht der Witterung auch nicht schlecht war - zum 3. Akt hin begann es leise zu nieseln. Während Scarpia sich nach Leibeskräften um ein spektakuläres Ableben bemühte, packte man im Publikum in aller Gemütsruhe die Regenjacken aus.

Tierisches Vergnügen: die Bleßhühner unter der Bühne kommentierten als griechischer Chor das Geschehen (Synkopen sollten sie aber noch mal üben), im 2. Akt leistete ihnen auch noch ein vernehmlicher Frosch auf Scarpias Stimmbändern Gesellschaft.

Auch der offene Spielort machte sich bemerkbar. Frittenduft verstärkte die Stadionstimmung, ab und zu zog ein Schiff vorbei. Bei "E lucevan le stelle" fuhr eine Ambulanz neben dem Festspielhaus vor. Man stellte fest, daß der blutverschmierte Mensch auf der Bühne doch noch ganz wacker brüllen konnte, und verzog sich wieder.

Bedeutungsschwangeres auf dem Weg zum Parkplatz: Außer dem dekorativen Bronzedingsda bot sich dem Auge auch noch der Leuchtschriftzug über dem Festspielhausdach. Nicht etwa eine Erinnerungshilfe für durchreisende Physiker oder die österreichisch-innerortige Geschwindigkeitsbegrenzung, sondern Kunst am Bau. Wer da noch nach Bedeutung sucht, mag sie hier in beliebiger Ausführlichkeit finden.