Sonntag, 9. November 2008

الاُبراالمصرية


Meine bisherigen Begegnungen mit dem Kairoer Opernhaus waren ja eher weniger erbaulich.

Da war zuerst das Ballett „Odysseus, Hero of Troy“, ein modernes Stück eines Italieners, wenn ich mich recht erinnere. Die Musik kam weitestgehend vom Band (und das war auch gut so, denn die wenigen Gesangspassagen, die live performed wurden, tun mir heute noch in den Ohren weh), dafür war der Tanz umso ... echter? Nicht, dass ich etwas von Tanz verstehen würde ... wenn allerdings die Ballerina bei der Hebefigur unsanft zu Boden fällt und es hin und wieder zu außerplanmäßigen Zusammenstößen kommt, kapiere auch ich, dass etwas schief gelaufen ist. Der russische Solisten-Import hingegen war – in meinen Laienaugen – ganz gut, soviel muss man ihm zugestehen.


Mein zweiter Besuch im Opernhaus übertraf dieses Mini-Desaster bei Weitem. Zu Gast war der deutsche Geiger Michael Jelden, der wohl vor einigen Jahr(zehnt)en als großes Wunderkind galt. Anders zumindest kann ich mir nicht erklären, wie er an seine Geige gekommen ist. Die soll nämlich einmal Paganini gehört haben, klingt wunderschön (was leider eher selten offenbar wurde) und ist auch optisch besonders ... mit einem geschnitzten Kopf anstelle der Schnecke und dem Bild einer Frau auf den Boden gemalt. Wie dem auch sei, Jelden scheint sich als legitimen Nachfolger Paganinis zu betrachten, und so spielte er – nach dem obligatorischen Bach zum Warmspielen – auch fast ausschließlich Paganini und dergleichen ... ich fühlte mich eher unangenehm an mein eigenes Cellospiel erinnert, denn irgendwie wollte das Stück immer schneller als die Finger. Seine anscheinende Vorliebe für konstante Temposteigerungen war dem nicht gerade zuträglich. Zur Intonation äußere ich mich lieber erst gar nicht, da muss ich mich aufregen ... Die irritierten Blicke der sehr guten japanischen Pianistin haben uns allerdings einigermaßen amüsiert und die Laune gerettet :)

Wie dem Programmheft zu entnehmen war, ist Jelden neben Paganini-Imitator auch noch Linguist (vielleicht hätte er doch lieber die Läufe über sollen, statt georgische Wörterbücher zu schreiben?) und Musikwissenschaftler. Als Letzterer hat er im Laufe der Zeit nicht nur einige Stücke europäischer Komponisten wiederentdeckt, sondern auch in Fernost „gegraben“. Resultat dieser Ausgrabungen war der einzige Lichtblick des Abends, für den sich die 10 Pfund Eintritt (etwa 1,30 Euro) dann doch gelohnt haben. „Sunshine over Tashkorgan“ bedient sich eines bekannten Volksliedes der hauptsächlich muslimischen chinesisch-pakistanischen Grenzstadt Tashkorgan – ein zugegeben furchtbar kitschiger, aber dennoch wunderschöner Mix europäischer, chinesischer und arabischer Melodien und Klänge.

Bleibt die Frage, woher ich das alles weiss (nein, das Programmheft hat nicht geholfen, und Wikipedia auch nicht ... ). Da im großen Saal nebenan der libanesische Superstar Elissa ein Konzert gab, waren wir ein eher überschaubares Publikum. Für Jelden Anlass, das Konzert etwas „persönlicher“ zu gestalten. Im Resultat war das Ganze mehr eine musikhistorische und -theoretische Vorlesung mit Klangbeispielen. Nach 3 Stunden saßen wir immer noch im Saal. Nun gut.

Ich nehme mit: Witze reißen in der Fremdsprache ist nur für ganz Fortgeschrittene. Ich nehme außerdem mit: Wenn mans nicht durch schafft durch den Paganini, und mal ne Pause braucht, dann eignen sich besonders gut die hohen Stellen, die ein bisschen an Vogelgezwitscher erinnern. Da kann man dann nämlich kurz abbrechen, ein bisschen zwitschern und andere Tierstimmen nachahmen – wenn man Glück hat, lacht das Publikum auch – und wenn man sich erholt hat, dann spielt man einfach weiter, und keiner hat's gemerkt ...

Noch Fragen? Alles in allem, ein Traum in roten Seidenrüschen ... jawohl, er, nicht die Pianistin.


Mit entsprechend gedämpften Erwartungen betrat ich also gestern Abend erneut das Opernhaus, um mir endlich einmal das Kairoer Symphonie-Orchester zu Gemüte zu führen. Auf dem Programm standen Schönbergs Opus 4 „Verklärte Nacht“ und Schuberts fünfte Symphonie. Und wie positiv ich überrascht wurde! Es war nicht spektakulär, aber nett und solide. In den schwierigen Passagen des Schönberg trat dann doch das ein oder andere Problem auf. Insbesondere der Solocellist spielte ab der vierten Lage aufwärts nach dem Ein-Finger-Such-System – mäßig erfolgreich –, dafür habe ich den schönsten Solobratschenton seit sehr sehr langer Zeit gehört. Nach der Pause war ich dann leicht irritiert. Wieso spielten sie plötzlich Mozart, so ganz ohne Ankündigung? Ach ja, ich vergaß, das klingt nur so wie Mozart, ist aber gar keiner! Der „falsche Mozart“ auf jeden Fall ... lief ;) Vor allem die Flötistin hat ihre Sache ganz hervorragend gemacht.


Ich glaube, ich kann einen erneuten Besuch riskieren ;)

Sonntag, 2. November 2008

Nie wieder Galerie! Radu Lupu und Zinman in Zürich

Ich möchte an dieser Stelle meines ehemaligen Kollegen S gedenken. S kam aus down under, kommunizierte vorwiegend über four-letter-words, trug das ganze Jahr Shorts und wusch seine Wäsche nur bei Heimatbesuchen. Dazu war er offensichtlich wasserscheu. Seine Rugbyschuhe lüftete S zur Freude des Lehrstuhls im Gang aus.
Gestern fuhr das Roktett nach Zürich in die -äh - Turnhalle, wo das dazugehörige Orchester "Rugby" von Honegger und einiges anderes spielte.
Bei näherem Hinsehen war es doch die Ton- und nicht die Turnhalle, man gedachte auch nicht unseres charmanten Australiers, sondern des 150jährigen Uni-Jubiläums (in Konstanz spielt bei solchen Anlässen ganz schnöde das Uniorchester). Die für Studenten recht luxuriösen Galerieplätze erwiesen sich leider als Fehlgriff.
Der Große Saal der Tonhalle hat eine klare, aber relativ weiche Akustik (man vergleiche Zinmans leichtfüßigen Beethoven-Zyklus bei Arte Nova). In den hinteren Reihen der Galerie wird das leider zu einer Überdosis Weichspüler, die alles wuchtig Akzentuierte gnadenlos plattbügelt und seines Fundaments beraubt. Noch dazu befanden sich Streicher und Solisten unterhalb des Galeriesimses und waren hinten im Saal insbesondere im höheren Register (von den Bratschen aufwärts) kaum zu hören. Die sechs hochpostierten Kontrabässe retteten immerhin die Baßgruppe ein wenig. Die asthmatische Belüftung erging sich dazu in einem nervenden Ostinato.

Nach Honneggers sportlicher Inspiration spielte man Hindemiths "Mathis der Maler"-Symphonie, die am besten durch das Grünewaldsche Programm selbst illustriert wird. Das Engelskonzert begann dementsprechend auch mit himmlischen Bläserakkorden, ein sinnlicher Genuß, den man mit Hindemith ("witzig, aber anstrengend") normalerweise nicht in Verbindung bringen würde. Kontrapunktische Passagen in den Streichern klangen leicht und beschwingt, darüber schwebte der Bläser-Cantus ("Es sungen drei Engel"). Ähnlich, diesmal gedeckt lyrisch, wirkte die Grablegung.
Bei der Versuchung des Heiligen Antonius schlug die Akustik zu - statt der wüsten Triller- und Galopporgie mit ordinären Bläserakzenten kam bei uns allerhöchstens ein Versucherli an - "Wir plagen Dich - ein bißchen..."
Zinman dirigierte ruhig und statisch mit sparsamen, körpernahen Handbewegungen - irgendwie vergaß ich immer, daß da überhaupt jemand vorne stand und das Stöckchen schwang.


"Das gegenwärtige Concert war nun wieder ein solches, in dem eine neue Composition zu Grabe getragen wurde - das Concert des Herrn Johannes Brahms." Die berüchtigte Kritik der Leipziger Zweitaufführung von Brahms' Erstem erschien uns Brahmsjüngern immer als ein Sakrileg - aber vielleicht saß der arme Kritiker ja auch nur auf der Galerie.
Wer das Stück kennt, erwartet einen monumental-brachialen Einstieg - was hinten ankam, war dürr, labbrig und ohne Bodenhaftung. Die Trillerkaskaden wirkten nach dem Hindemith blaß und strukturlos.
Radu Lupu lehnte sich gemütlich in seinen Stuhl zurück wie weiland Papa Brahms und hieb in die Tasten - im ersten Satz leider nicht immer ganz treffsicher. Sein grundsätzlich weicher Anschlag mißfiel den Zimerman-Aficionados unter uns, dies kombiniert mit der ungünstigen Akustik ließ insbesondere die rechte Hand völlig untergehen.
Was man nicht der Akustik ankreiden konnte, war die Uneinigkeit im Tempo. Es schien, als habe das Ensemble sein Tempo giusto nicht gefunden, man schlich sich etwas disparat und wacklig in die Einsätze. Wer Lupu mit dem Orchester interagieren, mit dem Kopf wackeln und teilweise sogar Einsätze geben sah, mag vermuten, daß es Differenzen zwischen Dirigent und Solist gab.
Der zweite Satz war besser, allerdings in einem schläfrig-langsamen Tempo, in dem vielleicht nicht nur dem Publikum die Augen zufielen - die Anschlüsse schleppten, und ein Oboeneinsatz war offensichtlich eine Hommage an Hindemiths Spielanweisung "Hier hat der Oboer den Einsatz verpaßt. Sehr frei."
Im dritten Satz, einem behäbigen Rondo, wollte bei uns keine rechte Lust mehr aufkommen.
Wie schrieb Brahms: "Zum Schluß versuchten drei Hände, langsam in einander zu fallen..." - der Rest des Saals war gnädiger.
Ein stellenweise etwas trüber Abend - vielleicht sponsort die Tonhalle uns das nächste Mal Parkettkarten, dann bloggen wir auch netter ;-)

Sonntag, 19. Oktober 2008

Begeisterung - Sol Gabetta und die Skride Schwestern

Beethovens Geistertrio: man kennt viele Aufnahmen und hört dann die "begeisterten" Damen. Sodann möchte man, dass alle Aufnahmen sich beim Anhören so anfühlen, wie der Vortrag des Trios von Baiba Skride (Violine), Sol Gabetta (Cello) und Lauma Skride (Klavier). Man merkt den Künstlerinnen an, dass sie weder verbrauchte oder alteingesessene Musiker sind und mit Virtuosität das Stück runterspielen, sondern vorallem richtig Freude an diesem Werk verspüren und dies auch zu vermitteln wissen. Emotional gesagt, kann einem bei dieser Art des Vortrags der zweite Satz (der Geistersatz) tatsächlich die Tränen in die Augen treiben. Besonders Gabetta schafft es stark zu differenzieren, zwischen Fortissimi und Pianissimi, zwischen wild-rhytmischen Partien und sentimentalen Kantilenen. Übrigens gilt das nicht nur für den Beethoven. Sol scheint manchmal gar nicht wohin zu wissen mit ihrer Energie, so kommt es vor, dass ihre Beine während des Spiels wild auf und ab hüpfen und sie Headbanging betreibt. Die beiden Schwestern scheinen da etwas gesetzter wenn auch nicht minder musikalisch.

Schumann ist ein Chaot. Mit seinem Trio in F-Dur hat er ein wunderschönes Stück geschaffen, was wohl auch Clara Schumann gut gefallen haben mag, jedoch war es rein kompositorisch (mir tut es leid, das sagen zu müssen) der Tiefpunkt des Abends.

Mehr als erbauend war das H-Dur Quartett von Brahms, das interessanterweise in h-Moll endet. Auch das teilweise zu Tränen rührend und ziemlich virtuos, nicht nur für das Klavier, wirkt vor allem durch seinen gefälligen zweiten Satz als ein großes Meisterwerk und für mich als der Höhepunkt des Abends.

Abgerundet durch eine Zugabe von einem Komponisten, der sich schon durch das grüne Notenheft, das nur vom Sikorski-Verlag sein konnte, als Shostakovich angekündigt hat (gut erkannt Ruth!) und die Vorfreude entsprechend riesig und nicht vergebens war. Unser Fazit zu Schoschi: genialer Satz, technisch unglaublich schwierig und rockt wie Sau.

Anschließend wie immer Groupies gespielt - sehr sympathisch, alle drei. Das war es von meiner Seite, professionellere Kritik gibt es dann beim nächsten Mal wieder!

Übrigens wird ein Besuch im asiatischen Restaurant "Lemongrass" in Hohenems vor dem Konzert zur neuen Tradition.

Aiuta Aida! Verdis Suezoper in Zürich (Samstag, 17.10.2008)

Auf gewohntem Platz hatte man heute wieder einmal eine kurzfristige Änderung vorzufinden: Amneris oder vielmehr deren Darstellerin Stefania Kaluza war erkrankt; in diesem Fall nahm man das mit freudigem Blick zur Kenntnis: Annamaria Chiuri sollte vertreten, zumindest keine Umbesetzung, die in einen zurück ins Parkhaus treibt.
In der brütenden Hitze des Opernhauses gab es dann einen gepflegten Repertoire-Abend zu erleben. Die Inszenierung (Nicolas Joel) versetze die Handlung kurzweg in die Kolonialzeit, eine nette Idee: Englische und Französische Touristen schauen neugierig dem munterem Abschlachten und Treiben und Ritengefeiere der Äthiopier und der Ägyter zu. Das Bühnenbild (Ezio Frigerio) machte die ohnehin schon recht enge Bühne noch ein bisschen enger und war um es kurz zu machen etwas blöd: Der mit zwei dicken Bertas bestückte Nildampfer, auf dem Radames vom siegreichen Feldzug zurückkehrt, war sicher nicht schwimmfähig, und überhaupt hat man mit Kieltüren schlechte Erfahrungen, gerade wenn sie zum Be- und Austreten benutzt werden. Und: Gibt es in Ägypten tatsächlich so viele Gewächshäuser? Außerdem war es die ganze Zeit so völlig unägyptisch dunkel auf der Bühne. Nun gut, kommen wir zum Wesentlichen, der Musik.
Annamaria Chiuri schlug sich sehr respektabel, sie singt sauber, mit noch sehr fester und sicherer Stimme, keine störendes Vibrato, aber auch kein volles weiches Mezzoströmen. Ihre Amnersi war solide, aber nicht mitreisend, sagen wir zweite Garnitur und zeimlich gut angezogen. Chiara Angella gab eine Aida, die sehr zerbrechlich wirkte, nicht nur weil sie eine sehr zarte Person ist, sondern weil sie keine Aida der großen Töne war: Ihr Piano ist hinreisend, sicher eingesetzt und sauber in der Maske, ihr Forte dagegen wirkt recht matt und leidet an einem vehemten Vibrato, das man nicht unbedingt noch verstärkt wissen möchte. Mit ihr erlebte man die innigsten Momente des Abends und man würde sich wünschen, sie einmal wieder in Zürich zu sehen, vielleicht in einer Partie, die ihrer stimmlichen Disposition etwas mehr entgegen kommt.
Ihr Gegenüber Radames, war mit Salvatore Licitra recht prominent besetzt, der mittlerweile äußerlich sehr runde Tenor hinterließ stimmlich einen unrunden Eindruck: Berückend das Schluss - B im "Celeste Aida" ins Pianissimo zurückgenommen, zu kämpfen hatte er nie; er singt die Partie souverän und nie um ein paar kräftige Töne verlegen. Störend ist einfach seine Stimme, die nur selten wirklichem Schmelz entwickelt und im ganzen eher zum Schreien verführt, hoffen wir, dass er das nicht allzuoft macht: Er ist eine solide Besetzung und hatte recht berückende Momente, die freilich durch armdicke, blöckende Geräusche zu leiden hatte, die zwar in die Stütze, jedoch weit aus der Maske gesetzt waren. Juan Pons verwaltete als Amonasro solide die Rudimente seiner Stimme, er singt sehr einzeltonbezogen und hatte am Anfang etwas mit Luft und Rotz zu kämpfen. Dennoch muss man zugestehen, dass er den souveränsten Eindruck hinterlassen hat. Der König von Giuseppe Scorsin war normal und solide, eine brauchbare Ensemble-Besetzung. Das kann man von Andreas Hörl s Ramfis nicht behaupten: Da singt einer eine Basspartie, der sicher kein Bass ist, weil er über keinlerlei Tiefe verfügt, sondern einfach nur in der ihm von seinem Lehrer Kurt Moll vererbten Quetschknödelei den Mund aufsperrt, und wenn man einen tiefen Ton hört, klingt er wie aus einem Jauchefassdidgeridou gezogen. Überhaupt ist die klangliche Ähnlichkeit zu seinem Lehrer das frappanteste an der Stimme. Herr Hörl: Bitte, bitte singen Sie doch Bariton, das ist das, was sie können! Merkt das ihr Stimmpate nicht? Ein Kurzes tenorales Glanzlicht war der Auftritt des Boten, der mit viel Schmelz und sicherster Technik überzeugte. Von Benjamin Bernheim wird man noch hören, trotz des Namens!
Die Enttäuschung des Abends war das Dirigat von Miguel Gomez-Martinez und die Leistung des Opernorchesters: Die Ouvertüre matt und flügellahm wie Kornflakes in heißer Milch, mangelnde Kommunikationsbereitschaft des Orchesters trotzte dem Bemühen des Dirigenten. Die Tempi des Maestro waren sehr eigenwillig: Man kann Verdi so langsam spielen, dass sogar ich gähne, da hilft es auch nicht, dass man am Ende der Bilder das Tempo kurfristig verdreifacht, was dann der Chor und die Sänger nur eingeschränkt mittragen können. An dieser Stelle der Appell an Xandi Pereira: Bitte Herrn Gomez - Martinez nicht zum GMD berufen, auch wenn oder gerade weil er in Bern tätig ist!
Alles in allem ein Opernabend mit luciden Momenten aber zu wenig Charme, um ein "vai un bis" in den Raum zu werfen. Und bitte: Irgendwer muss die Luftumwälzungsanlage reparieren!

Freitag, 10. Oktober 2008

Wir haben den Zimerman vergessen...

...und bevor die nächsten Konzerte anstehen, wollen wir ihn doch wenigstens erwähnt haben.
Also: das Roktett hat sich inclusive versammelter Elternschaft nach Schaffhausen begeben und dort in einer Kirche den Südwestdeutschen beim Schrubben zugehört.
Wahrscheinlich haben wir nicht den besten Eindruck hinterlassen, als sich unsere gesamte Reihe während Tschaikowskys "Romeo und Julia"-Ouvertüre statt durch Ergriffenheit durch Lachkrämpfe ausgezeichnet hat, aber das Zeug ist tatsächlich auch schmalzig bis zur Schmerzgrenze.
Da lobte man sich den Auftritt Krystian Zimermans (des Krystian Zimerman) - er spielte mit teilweise etwas angespanntem Gesichtsausdruck Lutoslawskis Klavierkonzert "For Krystian Zimerman", wobei sich die Frage stellt, ob der Gesichtsausdruck dem Stück oder dem Orchester geschuldet ist.
Nach einem kurzen Ausflug in die Niederungen des Groupie-Daseins gab es einige Stücke aus Prokoviews "Romeo und Julia", ganz wunderbar, und nein, diesmal sind wir danach nicht bei McDoof gelandet.

Dienstag, 30. September 2008

Endstation Schwindsucht


Heute abend fand auf dem Züricher Hauptbahnhof eine Aufführung von La Traviata statt.
Arte übertrug live und stellte auch gleich ein Interview mit dem Regisseur online.
Die Sänger durften gegen den Bahnhofslärm mit Mikro ansingen, für den Kontakt zum Dirigenten sorgten 3 Subdirigenten, und der Beginn wurde durch einen Startschuß angezeigt. Außerdem war es saumäßig kalt.
Die Inszenierung brilliert mit 15 HD-Spider- und Steadycams, kilometerweise Kabel, Legionen von Mikrophonen, Handfunkgeräten, Scheinwerfern und ein paar prominenten Sängern (die haben dann auch schön gesungen). Durchreisende werden gebeten, nur im äußersten Notfall mitzusingen.
Es bleibt eine marginale Frage: wieso?
Wenn ich mich recht erinnere, hat Zürich ein ganz brauchbares Opernhaus, in dem man auch ohne Schnellzüge und Rolltreppen Verdi spielen kann - auch wenn das Finale der Traviata im Zug den Vorzug hätte, daß man verblichene Halbweltdamen an der Station Hauptfriedhof gleich entsorgen kann. Praktisch.
Auch die Deutsche Bahn könnte sich ein Beispiel nehmen: Statt der ewigen technischen Probleme könnte man als Verspätungsgrund "Rigoletto" oder "Parsifal" angeben.
So ein Bahnhof ist auch ein intimer und charmanter Opernschauplatz - im edlen Wettstreit mit dem "Hamlet im Bahnhofsklo" des Konstanzer Stadttheaters oder Shakespeare in the Parking Lot.
Immerhin will man mit diesem Event die Leute "da abholen, wo sie ihr tägliches Leben verbringen" und quasi direkt in das elitäre und ach so überteuerte Opernhaus verfrachten. Aber was soll man von einer Oper haben, die über einen ganzen Bahnhof zerpflückt wird, wie die Ausreißergruppe der Tour de France mal kurz ohne Orchester am Publikum vorbeigaloppiert und nicht einmal per Großbild übertragen werden kann, weil es sonst Rückkopplungen gäbe? Ironischerweise kam man in den vollen Genuß nur vor der heimischen Glotze - da war es dann aber auch überraschend eindrucksvoll. Verdi ist nur schwer totzukriegen.
Die Holzklasse im vornehmen Züricher Opernhaus kann man sich übrigens schon für ca. 30 Franken leisten - das entspricht 3 Kinokarten. Ebenso sind die Londoner Proms in the Park und das Bayreuther Public Viewing erprobte Methoden der öffentlichen Klassikverbreitung.
Arte bezeichnet das Event als "ein Experiment, das man noch nie zuvor versucht hat" - die Harvard-Fachschaft vergibt für solche Experimente jährlich die IgNobel Prizes.
Wir überlassen den Regisseur das Schlußwort: "…das war die Ursprungsidee … daß die Leute die Züge verpassen, weil sie nicht mehr durchkommen."

Der Mitschnitt der "spektakülären Aufführung" ist übrigens noch 3 Wochen auf Arte.tv verfügbar.

Sonntag, 7. September 2008

Berlin Berlin

Man fährt in die Hauptstadt, um sich Kultur zu geben - nun ja, nicht nur, aber auch, und so erwartet man doch einiges, was man in der Provinz nicht zu sehen bekommt.
Zum Beispiel: ein Gratiskonzert auf dem Bebelplatz, gesponsert von einem bayerischen Automobilhersteller, der vor dem Konzert fleißig Werbung machen durfte, aber das nahm man gern in Kauf, die größere Sorge war, wie man Beethovens Neunte ohne Sonnenstich oder klaustrophobische Anfälle überstehen kann.



Auftritt Barenboim mit seiner Staatskapelle, nur über die Leinwand zu erkennen, aber auch das ist durchaus nett, schließlich kommt es bei einem solchen Anlass auf die Atmosphäre an und die ließ nichts zu wünschen übrig, die Leute packten stilvoll in weiß gekleidet ihre Picknickkörbe und Champagnerflaschen aus, so dass man hätte neidisch werden können. Bei dritten Satz schwächelten wir, aber da wir Beethoven nicht für den Rest unseres Leben mit einem Blick auf nackte Füße in Verbindung bringen wollten, standen wir bald wieder auf und genossen das große Finale stehend, mit Blick auf die Uhr, um uns danach am Prenzlauer Berg den Bauch mit indischen Köstlichkeiten vollzuschlagen.
Am nächsten Tag Führung in der Philharmonie, der demokratischen, der schlaue Architekt hat es so eingerichtet, dass die einzigen Plätze mit schlechter Akustik die abgetrennten für die VIPs sind.
Sympathisch.
Ein halbes Streichquartett musste im Kammermusiksaal natürlich gleich noch so tun als ob.




Die Akustik konnten wir am Dienstag beim Konzert des mit vielen Vorschusslorbeeren bedachten Simon Bolivar Youth Orchestra unter Gustavo Dudamel (oder auch: der Hampelmann) testen - sie ist tatsächlich so gut, dass die von mir ohnehin nicht mit viel Liebe betrachteten Blechbläser bis in den letzten Winkel in ohrenbetäubender Lautstärke vordringen. Strawinskys "Sacre du Printemps" war vor allem laut, Tschaikowskys Fünfte nicht, aber die drei Zugaben wurden mit großer Begeisterung gespielt - zwei südamerikanische Showeinlagen inclusive tanzender Musiker und als krönenden Abschluss den Radetzky-Marsch.
Hat man da noch Töne?

Mittwoch, 3. September 2008

Ein Lied geht um die Welt, oder: Rette sich, wer kann

Gründe, den "Sommarpsalm" nicht auswendig zu lernen:
  • das Ding geht los mit "En vänlig grönskas rika dräkt har smyckat dal och ängar..." und 3 verflixt schwedische Strophen weiter
  • ich bin Naturwissenschaftler und nicht Linguist
  • man muß nicht wissen, wie es geht, solange man weiß, wo es steht
Gründe, warum man zähneknirschend die Noten wälzt:
  • das Lied ist eine der 138 inoffiziellen schwedischen Nationalhymnen
  • der Dirigent hat es befohlen
Warum am Ende die Faulheit siegte:
  • lieber noch mal Martin und Poulenc geübt
  • wenn ich mich neben eine stimmstarke Schwedin stelle und "köttbullar, starköl, bork, bork, bork" brummle, merkt das auch keiner
Am Konstanzer Bahnhof befand man, daß die effektivste Lernmethode lautes Singen in Endlosschleife sei. Dieser Meinung war man (zunehmend unter "die gehören nicht zu uns" einzuordnen) auch noch im ICE, auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof, in der S-Bahn und auf dem Flughafen hinter dem Sixt-Reklameauto. Irgendwann fragten wir uns, ob wir schon unter Terrorverdacht stehen. Unter Mitwirkung kreativer Schweden und meiner Mitbewohnerin entstand daraus folgender schlechte-Fernsehserien-inspirierter Dialog.

Agent an MI6CIAGSG9KGB-Hauptquartier (HQ): "Report: Suspicious singing activities all over southern Germany."
HQ:"Get more specific?"
Agent: "Traced it from Konstanz to Stuttgart. Sounds ... Swedish ... somehow." ...
Agent: "We lost the song! Repeat: We LOST the song!!"
HQ: "Capture that song, dead or alive! ... Strike that out. The singers."
Agent: "Found it. It's in Stockholm. Where's that again?"
HQ: "Code RED! Surround Sweden! Surround Sweden!!"
Einige Truppenbewegungen später. Die Spezialeinheit für musikalische Härtefälle stürmt ein Theater in Stockholm.
Agent: " Caught in the act. FREEZE!"
Laaange Fermate.
Agent: "Drop your music. Slowly."
  

Ansonsten:
  • Yep, die Schweden können singen. Und feiern.
  • Stockholms Altstadt sieht aus wie Norditalien auf Eis.
  • Hochzeit heißt auf Schwedisch Bröllop.
  • Ich habe einen Schokoladen-Nobelpreis.
  • Der Domdekan bloggt.
  • Schön wars.

Sonntag, 31. August 2008

Saisoneröffnung in Zürich - Première von "Artifact"

Das Opernhaus Zürich hat seine Spielzeit mit einer Ballettchoreographie von William Forsythe eröffnet, die den schönen Namen "Artifact" (Erstaufführung 1984 in Frankfurt) trägt. Zu Klaviergespiel nach Musik von Bach, Busoni und Eva Crossmann-Hecht ( muss man nicht kennen) gab es jede Menge Bewegung von sicherlich schönen Körpern und lachendem Licht.
Mangels Kompetenz schweigt der Wissende über Qualität und Deutung, beschränkt sich auf die Aussage, dass alles nett anzuschauen war und Bachs Musik unkaputtbar ist.

Eine Besuchsempfehlung nur für Freunde des Klavierspiels und des Kunstballettes ohne erkennbare Handlung.

Weitere Aufführungen am 2., 4., 7., 13., 28. und 30.09.08, am 2., 8., 26. und 31. 10.08, sowie am 8.11.08 und am 2.01.09.

Montag, 25. August 2008

Zwei Augen sind sowieso besser als eins!


...und damit hätten wir Bregenz auch schon hoffnungslos überflügelt. Zugegebenermaßen ist ihres größer.

Auch wenn mir Holly Cat netterweise eine professionelle Kritik zutraut - über die Leute, mit denen ich 3 Wochen zusammengespielt habe, mag ich jetzt doch nicht lästern. Also gibt es jetzt eher ein bißchen Backstageklatsch aus Sicht des letzten Geigenpultes.

Üblicherweise verstört Peter Bauer die Konstanzer mit unbekannten Komponisten auf dem Plakat ("Nein, nein nein, Don Giovanni ist schon von Mozart - Gazzaniga ist der Librettist!"), überrascht dann aber mit kurzweiligen bis eindrücklichen Bühnenwerken. Hinlänglich bekannt ist auch seine Abneigung, Honoratioren einen "netten, kleinen Mozart" in den Rachen zu werfen (vgl. Henze zum Uni-Jubiläum).
In diesem Jahr gab es den netten kleinen Mozart - und er erwies sich als ziemlich spröde. Mit Zaïde sollte eine deutsche Oper etabliert werden, blieb aber Fragment - anscheinend war den Wienern der Stoff zu ernst. Vom Libretto ist zum Glück nicht viel übrig (die Arientexte sind schlimm genug), eine Ouverture gibt es genau so wenig wie einen Schluß. Das Material besteht aus durchaus schönen Arien und Ensembles, die aber die Handlung kaum vorantreiben.
Insofern hat die Regie mit den Stück im Wesentlichen Narrenfreiheit. In Konstanz gab es eine poetisch-vage Fassung mit Lyrikintermezzi statt Dialogen (was soll am Hohen Lied eigentlich so anstößig schlüpfrig sein?), die nicht nur beim Publikum bisweilen auf Unverständnis stieß ("Also ich bin am Ende anscheinend der Regisseur, der allen kündigt...?"). Mir schien es mehr Opernessay als Musikdrama - mit feinsinniger Textauswahl und einigen organisatorische Hürden in der Regie. Ich denke an eine Probe, in der der Bariton den Einsatz nach einer Fermate zunächst nur sehr wacklig zustande brachte, was vermutlich daran lag, daß er gleichzeitig unter großem Schaumeinsatz rasiert wurde. PB in aller Ruhe: "Kann man den Bart nochmal ankleben und das wiederholen?" Die Maske trug es mit Fassung.

A propos, "Stockholm, Stockholm, ich fahr nach Stockholm" - statt Mozart gibt es jetzt, kaum geprobt, Poulenc und Martin. Es verspricht, interessant zu werden.

Sonntag, 24. August 2008

Zaide oder: das Auge hört mit

Augen scheinen in diesem Opernsommer am Bodensee höchstes Ansehen zu genießen. Nachdem das Auge schon bei Tosca wortwörtlich der Dreh- und Angelpunkt war, hat nun ein Paar nicht wirklich orientalischer Augen die Aufmerksamkeit auf die Zaide der Rathausoper gelenkt.
Zaide ist ein Vorläufer der Entführung aus dem Serail, ein Fragment, was viel Raum für Interpretation lässt - und für von Schauspielern gesprochene Texte, die man in einer herkömmlichen Mozart-Oper vermutlich nicht zu hören bekäme.
Die musikalische Beurteilung überlasse ich dem Blogeintrag einer Beteiligten, das erspart Peinlichkeiten, zu loben ist allerdings die wunderschöne Atmosphäre im Rathaushof - gesetzt den Fall, das Wetter ist gut genug, so dass man nicht ins Theater ausweichen muss - und die Inszenierung, die diesmal von bunten Flatterkostümchen und allem ansatzweise hysterischen (siehe die Aufführung vor zwei Jahren) abgesehen hat.
Der besondere Charme lag vielleicht auch am Besuch der Dernière mit einigen Späßen, die vermuten ließen, man habe die Handlung der Zaide nach Indien verlegt und besonderer Schwierigkeiten, mit denen Teile des Orchesters zu kämpfen hatten, über die des Schreibers Höflichkeit aber schweigt, schließlich waren sie nicht musikalischer, sondern zerstreuter Natur.
Die teilweise etwas "schlüpfrigen" Texte (Originalton zweier - zur Hälfte beteiligter - Cellisten) kamen beim jüngeren Publikum sehr gut an, die älteren Gäste waren etwas weniger überzeugt, was durchaus im Rahmen des Erträglichen ist, in Konstanz muss die jüngere Generation genug ertragen, was wiederum ein anderes Thema ist.
Bevor mich die Inspiration ganz verlässt, überlasse ich den Platz einer weitaus professionelleren Kritikerin und spare mir die schweren Geschütze für Berichte über zwei Konzerte in Berlin in der ersten Septemberwoche auf.
Ach ja: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin...

Dienstag, 19. August 2008

Wie soll man bei dem Krach auch schlafen können...?

"Nessun dorma" geht wieder um - die Große Untote unter den Bravourarien. Nachdem leise Hoffnung bestand, sie zusammen mit Pavarotti vorläufig in die Grube geschickt zu haben, verhilft ihr ein englischer Handyverkäufer mit schiefen Zähnen zu frisch erstarkter Prominenz.
Folgende Kostbarkeit fand sich an der Spitze der deutschen Amazon-Klassikcharts:Wird sich die Telekom neben der Farbe Magenta demnächst auch Puccini gesetzlich schützen lassen?
Auf den nächsten Plätzen folgte eine Flut von Puccini-Kompilationen - Nessun-dorma-Versionen von allen Drei Tenören (die können es wenigstens). Dazwischen, sehr vereinzelt: singende Mönche, der ubiquitäre Lang Lang und natürlich "Baby Classics - Nur das Beste für mein Baby".

Paul Potts ist ja auch ganz rührend, singt für einen Semi-Amateur nicht schlecht und paßt perfekt ins Triumph of the Underdog-Klischee; aber seine Einspielung gehört nicht zu den Dingen, auf die die Welt gewartet hat.
Rezensenten (z. B. Amazon.de) führen zu seiner Verteidigung an, daß er Oper und Klassik für ein neues und jüngeres Publikum erschließt. Dem kann ich mich nicht anschließen: Potts bringt die hoi polloi genau so wenig zum Klassikhören wie J.K. Rowling die Kinder zu Literaten macht. Von aus dem Kontext gerissenen Puccini-Arien ist der Weg zu Beethoven-Quartetten nicht signifikant weiter als z. B. von Ronan Keating. Die Nestlé-Werbung mit Carmina Burana hat auch noch niemanden zu Strawinsky bekehrt.
Ganz abgesehen davon sollen die Leute hören, was ihnen Spaß macht - klassische Musik ist doch keine intellektuelle Pflichtübung!

Auf Platz 12 der Charts fand sich übrigens die Zubin Mehta-Gesamteinspielung von Turandot mit Sutherland, Caballé und Pavarotti in den tragenden Partien - vielleicht zieht da doch der Potts-Faktor. Allerdings frage ich mich, vieviel Spaß ein Castingshows gewöhnter Opernneuling an einer dreistündigen Kopf-ab-Oper mit einer herb timbrierten Hochdramatischen in der Titelrolle, seltsamer Handlung, hirnlos agierenden Protagonisten (Calaf, Liù) und fragmentarischem Schluß haben wird.

Weit oben auf meiner "Nessun dorma"-Hitliste steht übrigens die Version von Manowar. Wer braucht da noch einen Paul Potts?

Freitag, 15. August 2008

Melodramma eroi-comico mit obligatem Bleßhuhn

oder: Das Auge ißt mit

Wer nach Bregenz fährt, muß sich einlassen können: auf "Technik, die begeistert" statt musikalischer Kammerspiele, Beschallung aus Lautsprechertürmen, Durchsagen, die auch vom Stadionsprecher kommen könnten ("Wir danken den Sängern für diese tolle Show unter schwierigen Bedingungen..."), Trockeneisnebel, Stuntmen und Lightshow - ein gewaltiger Schieß-Budenzauber inklusive Füsillade und Ministrantenmassaker.

Dafür gibt es aber auch das volle Programm - den berühmten Sonnenuntergang, den speziellen open-air-Charme, dazu ein eigentlich hochklassiges Ensemble. Und Tosca, dieser dreckig-opulente Opernkrimi, paßt in das Ambiente.

Ich hatte spontan am Vortag noch eine Karte in der Proletenkategorie ganz unten rechts ergattert. Akustik und insbesondere Beleuchtung waren teilweise verheerend: so blendeten die Scheinwerfer und die Soloklarinette hatte ein unangenehmes Echo. Auf den billigen Plätzen versagt auch die Surround-Akustik, sodaß alles ziemlich irritierend ohne Raumklang nach Konserve von links klingt - und die könnte ich vor meiner Stereoanlage besser genießen. Immerhin bekam man die eindrucksvollen Bühneneingeweide hier aus nächster Nähe zu sehen, ebenso die Dirigenten-Videoübertragung für die Akteure.
Die angeblich geräuschlose Hydraulik zischte immer wieder vernehmlich in die Entr'actes hinein. Die Bühne ist zum Teil extrem hoch gebaut, sodaß man in manchen Szenen - wenn überhaupt - gerade noch die Köpfe der Sänger sah. Die Inszenierung verläßt sich nicht sonderlich auf direkte Interaktion zwischen den Sängern, die Distanzen sind gewaltig. Im ersten Akt fährt man auf einer Malerbühne am Auge auf und ab, Tosca verbringt den gesamten 3. Akt mehrere Meter über Cavaradossi, der läuft an einer langen Kette über die Riesenpupille und hätte damit das Schild "Vorsicht, bissiger Tenor" verdient. Die aufwendigen Videoprojektionen tun ihr Übriges, von den Sängern abzulenken. Bregenz eben.

Sänger
Tosca (Babajanyan): In den dramatischeren Forte-Partien fand ich ihr Vibrato manchmal etwas aufdringlich ("da kann ein Löwe durchspringen") - dafür sang sie ein lyrisch-butterweiches "Vissi d'arte". Wäre ich kein zynischer Naturwissenschaftler, hätten mir die Tränen kommen können.
Cavaradossi (Sandoval): eine äußerst schöne Stimme, vom Lyrischen bis zum Heroischen, manchmal fast zu schön (Puccini ist doch schon kitschig genug). Die dreifache Fermate auf dem Vittoria-Brüller war allerdings bis ins Unerträgliche gezogen - wollte er einen Rekord brechen oder fand er den Weg vom hohen Ais nicht mehr herunter?
Scarpia (Sidhom): überzeugte mich nicht so sehr, für mich ist die Figur gerade im Zusammenspiel mit Tosca zynisch-schmieriger Pseudo-Galan und nicht einfach nur (auch stimmlich) brutal.

Zum Bühnenbild sage ich jetzt mal nichts, das hat Holly Cat ja schon kritisiert.

Kostüme: Der wahre Folterknecht muß hier am Zeichentisch gesessen haben. Ob feuerwehrrotes Jackett zu Burgunderhosen und gestreiftem Seidenhemd (Cavaradossi) oder volant- und glitzerbewehrte Alpträume in pink (Tosca), es wurde keine Grausamkeit ausgelassen. A propos: welchem Bond-Film ist eigentlich die kurvige Folterdomina im grauen Glanzkostümchen entsprungen?
Einzig Spoletta trug stilsicher einen zeitlosen Trenchcoat, was in Anbetracht der Witterung auch nicht schlecht war - zum 3. Akt hin begann es leise zu nieseln. Während Scarpia sich nach Leibeskräften um ein spektakuläres Ableben bemühte, packte man im Publikum in aller Gemütsruhe die Regenjacken aus.

Tierisches Vergnügen: die Bleßhühner unter der Bühne kommentierten als griechischer Chor das Geschehen (Synkopen sollten sie aber noch mal üben), im 2. Akt leistete ihnen auch noch ein vernehmlicher Frosch auf Scarpias Stimmbändern Gesellschaft.

Auch der offene Spielort machte sich bemerkbar. Frittenduft verstärkte die Stadionstimmung, ab und zu zog ein Schiff vorbei. Bei "E lucevan le stelle" fuhr eine Ambulanz neben dem Festspielhaus vor. Man stellte fest, daß der blutverschmierte Mensch auf der Bühne doch noch ganz wacker brüllen konnte, und verzog sich wieder.

Bedeutungsschwangeres auf dem Weg zum Parkplatz: Außer dem dekorativen Bronzedingsda bot sich dem Auge auch noch der Leuchtschriftzug über dem Festspielhausdach. Nicht etwa eine Erinnerungshilfe für durchreisende Physiker oder die österreichisch-innerortige Geschwindigkeitsbegrenzung, sondern Kunst am Bau. Wer da noch nach Bedeutung sucht, mag sie hier in beliebiger Ausführlichkeit finden.

Sonntag, 27. Juli 2008

Tosca in Bregenz

Die Seebühne in Bregenz ist immer einen Ausflug wert, zumindest dann, wenn man Spektakel zu schätzen weiß. Das Roktett hat sich aufgemacht, zumindest in Teilen, um Floria Tosca und ihren Herren beim Leiden zuzuschauen, in netter Atmosphäre mit passend verdunkeltem Himmel und einer Kulisse, die sogar James Bond (bzw. die Macher des neuen Films) zu schätzen weiß. 
Das Auge ist mittlerweile zu einer gewissen Berühmtheit gelangt und kann tatsächlich einiges, nämlich in allen Farben funkeln, sich in einen Theatervorhang verwandeln, blutunterlaufen Gänsehaut hervorrufen (zu den Folterszenen wähnte man sich in einem Splatterfilm) und tatsächlich gibt es auch zwei davon - eines davon lässt sich in eine Plattform verwandeln, auf der die Figuren dekorativ leiden, gerne in luftige Höhen, am Ende stürzt der erschossene Cavaradossi in die Fluten des Bodensees, oder zumindest ein Stuntman. 

Meine Oma nannte die Sänger gedankenlos Schauspieler, und tatsächlich lag sie damit nicht so falsch. Die Musik mag gut gewesen sein, nur hört keiner wirklich zu, es geht um die Effekte, um das Kreuz, das zum "Te Deum" aus dem Wasser aufsteigt, um die technischen Tricks, die die Bühne nach hinten klappen lassen, und um das Auge, immer wieder.
Alles in allem: ein spektakulärer Abend, wenn auch nicht unbedingt aus musikalischen Gründen. 


Dienstag, 15. Juli 2008

Sitten und Unsitten: beliebte Hochzeitsklassiker

Ave, sponsa
"Wir möchten so gerne das Ave Maria hören - das ist unser Lied!"
So ungefähr 80% aller heiratswilligen Paare. Und nicht nur das: Ich habe das universell einzusetzende Schubert-Lied in ein und demselben Jahr auf einer Hochzeit, einer Taufe und einer Beerdigung jeweils auf besonderen Wunsch zum Besten gegeben.

Das Ave Maria ("das klassische halt") gibt es ja auch gar nicht. "Ave Maria" ist ein vielfach vertonter katholischer Mariengruß, den ich persönlich etwas bußfreudig finde ("ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae..?").
Schuberts Lied ("Ellens dritter Gesang") ist kein geistliches Werk, sondern ein Klavierlied zu einem Walter-Scott-Gedicht, in dem verdächtig viel von Jungfrauen die Rede ist. Es gibt Fassungen, denen der lateinische Text untergelegt ist, diese scheitern an der Tatsache, daß der sogar noch auf die Melodie von Hänschen Klein besser paßt als auf Schubert (plena endbetont? - und das ist erst der Anfang):

Dann doch lieber auf deutsch. Dicht gefolgt (und oft verwechselt) auf der ewigen Bestenliste folgt das Bach/Gounod-"Ave-Maria": Bachs strenges Klavierpräludium bekam von Gounod zuerst eine Vokalise verpaßt und diese wurde dann mit dem lateinischen Text versehen. Die Textverteilung ist zwar ein bißchen willkürlich, aber wenigstens passen die Betonungen einigermaßen. Im Übrigen gibt es ja auch noch unzählige andere originale Ave-Maria-Vertonungen, z. B. einige hübsche von Saint-Saëns. Oder für die Kreativen unter uns:

Maaßgeschneiderte nuptial packages
...zusammengestellt aus Amazon-Hochzeits-CDs - z. B. diese (haben die bei Naxos eigentlich gar keinen Anstand?), diese oder diese (die Deutsche Grammophon ist auch nicht besser).

1) die Goth-Version. Bräute bitte in Schwarz mit Krähenschwarm.
Zum Einzug: Bach, d-moll-Toccata. Zu der gehört übrigens eigentlich noch eine heftige Fuge (zahlt dem Organisten einen Aufschlag), ohne die hängt das Stück etwas schief in der Gegend.
Vor der Predigt: Orff, "O fortuna!" (das meinen die aber nicht ernst??).
Zum Auszug: Promenade aus Bilder einer Ausstellung (Mussorgsky).
Meine Ergänzungsvorschläge: Auftritt des Großinquisitors, Eine Nacht auf dem Kahlen Berg (auch Mussorgsky, vielleicht doch eher für den Morgen danach). Und "Trockene Blumen" statt "Ave Maria". Ist schließlich auch von Schubert.

2) Die Opernversion: Ridi, Pagliaccio!
Auch von der sündigen Opernbühne sind einige Stücke in die Kirche diffundiert; leider in den seltensten Fällen aus Opern, die mit einer stabilen und moralisch einwandfreien Beziehung enden (Zauberflöte? Figaros Hochzeit? hmmm... die Walküre...?).
Zum Einzug: Brautchor aus Lohengrin (Wagner). In der Oper gefolgt von einer desaströsen Hochzeitsnacht, der Bräutigam segelt unbefriedigt von dannen, nachdem die Braut ihn irgendwann enerviert gefragt hat, welchen Geschlechts er eigentlich sei. Verheißungsvoll.
Vor der Predigt: Entr'acte aus Carmen (Bizet). Eine leichtlebige Dame klaut einer anderen den Mann und wird von selbigem erdolcht. Oder die Méditation aus Thaïs (Massenet), wo eine weitere Halbweltdame ihr sündiges Leben überdenkt. Obendrein gut geeignet für Bräute, die es sich anders überlegen.
Zum Rausschunkeln: Barcarole aus Hoffmanns Erzählungen: nö, da verliere sogar ich vor lauter gescheiterten Damen den Überblick.
Meine Ergänzung: noch ein Ave Maria. Diesmal aus "Otello" von Verdi - "Have you pray'd tonight, Desdemona?" Shakespeare und Kontrabaßsolo kann man eigentlich kaum noch überbieten - und die Dame wird anmutig im Ehebett mit den Kissen erstickt. Gute Nacht!

3) Denn alles Fleisch, es ist wie Gras...
Nach dem Motto "...die Gemeinde wird schon kein Latein können" findet man manchmal Morbiditäten im Programm, die mir den Unterkiefer bis auf Kniehöhe purzeln lassen (soll ja gut zum Singen sein).
Zum Einzug: Ave verum (so'n netter kleiner Mozart). Wenn aus der durchbohrten Seite Wasser und Blut fließen, rührt das sogar die Schwiegermutter.
Zur Predigt: Pie Jesu aus Faurés Requiem - ewige Ruhe möchte man ja mancher Verbindung wünschen!
Daß auch deutscher Text total egal sein kann, zeigt folgendes Youtube-Beispiel ("Jerusalem" aus Mendelssohns Paulus):
Jerusalem, die du tötest die Propheten, die du steinigest, die zu dir gesandt. - $&%§!??? Gott sei Dank hallt es in der Kirche und man versteht nicht viel.
Zum Auszug fällt mir gerade nichts Vernünftiges ein: vielleicht Liszts Totentanz - so als hübsches Lied ohne Worte?

Genug gelästert. Ich poste demnächst mal einige vernünftige Vorschläge.

Sonntag, 13. Juli 2008

Von der Strandbar in die Mensa oder vom Regen in die Traufe

Kommt zur Kulturnacht - oder auch nicht... 
Das Roktett versuchte zu glänzen, was von der schlechten Akustik in der FH-Mensa verhindert wurde. Ab der dritten Reihe war nur noch jeder zweite Ton zu hören, dafür das Gemurmel derjenigen ganz hinten, bei denen überhaupt nichts ankam. Außer dem Clown, der seinen Auftritt damit verbracht hat, Fäkal-Babysprache vor sich hinzubrüllen und seine Gitarre durch die Gegend zu werfen. Waren wir zu alt oder zu doof dafür, den tieferen Sinn dahinter zu erkennen?

Nach der Pause hat das TmbH und der amüsante Kirschenchor die Stimmung gerettet, aber es bleibt die Frage: sind wir mittlerweile einfach zu verwöhnt, was Kultur betrifft?

Freitag, 11. Juli 2008

Kulturnacht heute Abend

Liebe Leute,
kommt zur Kulturnacht! 
Um sieben geht's los, das Bier ist zwar nicht frei, wohl aber der Eintritt und außer einem hoffentlich gefeierten Auftritt der Roktett-Mitglieder gibt's Jazz zu hören und zu sehen, den Chérisy-Kirschenchor (was auch immer man sich darunter vorstellen muss), Poetry, Improtheater, Clowns... 

Ein ausführlicher Bericht für diejenigen, die diesem Aufruf kein Gehör schenken, folgt die nächsten Tage. 
Apropos Bericht - Johannes, wo bleibt deine Carmen-Kritik? Und wenn wir schon dabei sind, magst du das Orchesterkonzert von Montag auch noch in den Himmel hinauf loben (oder auch nicht)?


Donnerstag, 10. Juli 2008

T-Shirt

Liebes Roktett,
wir haben Pläne für das T-Shirt-Design. Der naheliegendste Online-Anbieter wäre wohl Spreadshirt, im Modus Flexdruck mit Vektorgraphiken. Zur Debatte stünde folgende Vorderseite:

Dabei sollten Schlüssel, Takt und Tonart individuell wählbar sein - soweit in Lilypond machbar.
Für eine eventuelle Rückseite gäbe es mehrere Vorschläge:

ad 1) Jacobs Geige, falls er nichts dagegen hat:

Sollte man eventuell noch ein bißchen an die corporate identity anpassen (z.B. Farben).

ad 2) Seiten- oder Frontansichten des jeweiligen Instruments. Ich hab zur Probe mal ein Cello getraced, und eine Schnellversion für das Groupiemodell (kriegt man sicher noch schöner hin)



Dann kommentiert mal schön...

Mittwoch, 9. Juli 2008

Bitte, welcher der Herren ist Mr. Emerson...?

Ich kenne jemanden, der hat tatsächlich 10 Jahre auf seine Bayreuth-Karten gewartet.
Immerhin gibt es doch noch andere Festspiele - die Schubertiade in Schwarzenberg/Hohenems, zum Beispiel. Von Konstanz aus leicht erreichbar, mehr als 2 Monate muß man Karten im Regelfall nicht vorbestellen, die Besetzungen sind erstklassig und man betreibt keine musikalische Monokultur.

Exemplarisch: der Brahms-Haydn-Mendelssohnabend des Emerson String Quartet in Hohenems am 1.7. Zu meiner Schande muß ich zugeben, daß ich im ersten Teil in Papa Haydns und meines Jetlags Armen sanft vor mich hin schlummerte (op. 74/2 ist ehrlich gesagt auch nicht sehr aufregend). Doppelter Espresso in der Pause.

BRAAAAAHMS! Für ein Konzert mit 51/1 und 2 hätten wir notfalls auch die Alpen auf Elephanten überquert. Der saftige Klang und die unheimliche Präzision der Emersons passen vorzüglich zu den beiden klangselig-komplexen Quartetten.
Zugaben: Webern, einer der 5 Sätze für Streichquartett (die spielt aber echt jedes Quartett als Zugabe) und Bach, Choral aus der Kunft der Fuge (schmalzig, aber schön, hallo, Julia...)

Nach dem Konzert stürzten wir in bester Groupiemanier hinter die Bühne, um Autogramme zu kriegen. Die Herren waren etwas überrascht ("Young people! Great!"), schwatzten aber tatsächlich noch ein Weilchen sehr freundlich mit uns. Sie empfahlen uns vor, Donizetti(?) zu spielen, worauf Olli im Gegenzug vorschlug, sie sollten doch mal Bruch spielen (hatten sie tatsächlich noch nicht).
Eingerahmt wurde diese stilvolle Veranstaltung übrigens von 2 McDoof-Besuchen (sonst hat ja nichts offen).
Nils hat Photos gemacht, siehe Roktettgalerie.

Darf ich meinen Drucker jetzt Eugene taufen?

Dienstag, 8. Juli 2008

Hallo, zusammen!

Das Roktett fluktuiert und expandiert. Mitglieder werden in Dresden, Berlin, Kairo oder Shanghai gesichtet. Höchste Zeit für ein zentrales Blog.

Was soll hier stehen? Konzertkalender, gemeinsame Unternehmungen, Alumni-Grüße, das schwere Los eines perfekten Groupies - schreibt, was ihr wollt!