Samstag, 29. August 2009

Ritorna a noi la calma - Serse mit ein bisschen Xerxes und vielen Stühlen im Konstanzer Rathaushof, 22. August 2009



Viele Stühle, auf und vor der Bühne, ein kleiner Bonsai, bei dem man sich nicht wundert, dass ombra mai fu, und ganz wichtig unsere beiden Stühle direkt in der Auftrittschneise von Sängern und Orchester. Im Innenhof des Konstanzer Rathauses fühlt man sich auf Anhieb wohl, eine wunderbare Atmosphäre mit assai ombra für eine gelunge Opernsommernacht - und überraschend viel Ruhe, einzig ein paar Glöckchen und der Güterzug um 22:04 Uhr haben ein wenig vom Bühnengeschehen abgelenkt.

Und da war eine Menge los, auf der Bühne. Vorneweg muss an dieser Stelle gesagt werden, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Händeloper nicht gelangweilt habe; das lag nicht nur daran, dass der Maestro Peter Bauer das Stück um eine knappe Stunde erleichtert hatte, sondern auch an der auf - und abtrittreichen Personenregie und am frischen Musizieren von Sängern und Orchester. Für den Großteil des Publikums sicher wichtig waren deutsche Rezitative als Handlungsstrang zwischen italienischer Arienseeligkeit, denen man nur in den seltensten Fällen anmerkte, dass sie artifiziert wurden.

Annette Wolf ließ in der Ausstattung von Jochen Diederichs ein großes Stühlerücken veranstalten, was dem Inhalt der Oper - der mich immer noch an eine typische Daily Soap gemahnt - relativ gut steht - ob es nun immer ganz der dargestellten Theatralik und Plastizität bedurft hätte, nun gut das ist Geschmacksache, mir hat es größtenteils gefallen. Amastris darf den Bonsai des untreuen Xerxes zerfetzen, Atalanta ist ein Vamp mit einer Fick-mich-Palme auf dem Kopf und Romilda ein scheues blondes Rehlein. Rein dramaturgisch war es geschickt Elviro, den Sklaven, und die umtriebige Atalanta als Buffo-Duo dem Seria-Quartett aus Xerxes - Amastris und Arsamene - Romilda gegenüberzustellen. Warum Ariodate am Ende seine eigene Tochter angraben muss, verstehe ich nicht, aber vielleicht habe ich das ja auch nur wieder mal in den falschen Hals gekriegt.

Das Sängerensemble wirkte in toto sehr harmonisch - besonders heraus stach die Romilda von Sirkka Lampimäki. Eine glockenreine Stimme, die seit dem Konzert des IOS Zürich im Jahr 2002 deutlich an Contour gewonnen hat, abzuwarten bleibt, ob die Stimme den Angriffen des Ensembleterrors der Helsinki Opera gewachsen ist. Beste Voraussetzungen hätte sie: Saubere Technik, minimale Registerschwierigkeiten. Dazu kommt, dass die blonde Finnin sich wunderbar in das Regiekonzept einfügte.
Das gilt auch für Camilla de Falleiro als Atalanta; sie pogt und fetzt über die Bühne wie ein Tier und ist der Clown der Aufführung - der Gesang hatte darunter freilich nicht zu leiden, zumal man ihr anmerkte, dass sie der barocken Stimmkultur eher verbunden ist. Auch hier eine sehr reine Stimme, die durchaus noch im Wachsen begriffen ist; was man ihr vorwerfen kann sind bisweilen kleine Intonationshänger in raschen Koloraturketten, aber das ist ab einem bestimmten Tempo nicht verwunderlich und schadet dem Hörvergnügen kaum.
Stephanie Firnkes Amastris wirkt anfangs etwas blässlich, gewinnt im Laufe des Abends aber stark an stimmlicher Sicherheit und Farbe. Klang vieles zunächst etwas bemüht, fand sie zu einer Geläufigkeit, die ich ihr nach den Eindrücken der Bamberger Sommeroper (hat sie da im Abschlusskonzert nicht die Carmen gegeben?) nicht zugetraut hätte, ihr sozusagen ein ganz anderes Gesicht verlieh.
Eberhard Bendel gab eine soliden Ariodate mit einer Neigung zum hupenden Untersteuern, das bisweilen etwas an die Katamarane 400m entfernt erinnerte, für größere Rollen fehlt es der Stimme wohl etwas an Kern; erschwerend muss ich aber zugestehen, dass die Partie undankbar im Zwischenregister liegt. Alejandro Larraga Schleske singt den Elviro mit sehr viel Jugendlichkeit und Singfreude, bisweilen merkt man der Einbettung der Stimme ihre noch mangelnde technische Fürsorge an, die Stimme ist noch nicht sonderlich dicht, aber bei einem 24-Jährigen kann man das auch schlecht erwarten; in den lustigen Nibelungen in Zürich (IOS) hat er mir als Giselher fast ebenso gut gefallen wie als blumenspendender Diener Arsamenes.

Die beiden Antipoden der Oper waren traditionell besetzt: Arsamene mit dem Counter Florian Mayr, der die in meinen Augen mangelnde Eignung des männlichen Stimmorganes für ein Höhentuning ohne vorherige Änderungen im Kehlkopfbereich vorführte. So sehr Arsamene sich bei Annette Wolf als kastrates Weichei aufspielen darf - muss er auch so klingen? Die Attacke in der höheren Lage wird da schnell zu einem kurzen Kreischen, das nicht nur an eine haltende U-Bahn erinnert, sondern die Tonhöhe auch mehr nach dem Schrohtflintenprinzip auslotet. Wenn man der Stimme Mayrs Zeit lässt, kann er seine Gestaltungsfähigkeit ausspielen und es macht durchaus Freude, ihm zuzuhören. Die Stimme ist nicht groß und auch nicht voll, sondern hat mehr eine staubige Helligkeit, die aber beeindruckendes Gestaltungspotential bietet.
Einen denkbar schlechten Start erwischte leider Kathrin Koch als Xerxes, das schattige "O" geriet ihr im Schlager der Oper als erste Ariennote einen kappen Halbton zu tief, leider hatte sie ihn so weit in der Stütze, das eine Korrektur nicht mehr möglich war. Ob dies nun an der nicht optimalen Vernehmbarkeit des Orchesters auf der Bühne lag oder nicht - Xerxes schien lange Zeit etwas geschockt und blieb blässlich; im Laufe des Abends begann er/sie aber sich freizulaufen und fand sich anfangs mit Mühe, dann mit spielerischer Leichtigkeit an seinem Platz unter dem Bonsai ein; auch wenn Kochs Stimme wenige strahlende Härte hat, sondern sehr viel Menschlichkeit, gelang ein furioses "Crude furie", das einen zum Ende der Oper noch einmal richtig aus dem Sitz hob.

Der Chor war barock ausgedünnt und klang - auf den Seitenplätzen - etwas dürr, aber für die kleine Bühne und die kugelige Akkustik im Rathaushof war das auch ausreichend.

Am Pult des kleinen Orchesters tat Peter Bauer gewohnt tempoaffin, schwungvoll und routiniert seinen Dienst. Barocke Fröhlichkeit mit heftigen Hab-Acht-Momenten gab der Partitur das zurück, was so viele Barockdirigenten ihr durch schauckeliges, ausdrucksloses Geschrubbe rauben: Opernhaftigkeit. Das Orchester rollte sich mit beachtlicher Präzision durch die händelschen Tonschlangen und vermochte es unter den Händen des Maestros, dem nicht immer abwechslungsreichen Musikgeschehen eine Leichtigkeit abzuringen, die einen mit vielen entsetzlich langen und langweiligen Händel-Abenden in den Opernhäusern dieser Welt aussöhnte.

Bleibt zum Schluss den Maestro und sein ganzes Ensemble zu einem wirklich schönen Abend zu beglückwünschen, den man so gerne in Erinnerung behalten wird. Was brauchen wir Salzburg, wenn wir Konstanz haben?