War es Zufall, dass ich die kompletten Streichquartette von Felix Mendelssohn eingespielt vom Leipziger Streichquartett zum Geburtstag bekomme und das Ensemble knapp zwei Wochen später ins Inselhotel kommt - mit eben diesem Komponisten?
Die CD-Aufnahmen bestechen durch ihre rasant-dramatische Spielweise und so treten die vier relativ jungen Interpreten auch live auf.
Zu Beginn hören wir einen Webern aus dem Jahre 1905, welcher erstaunlich viel Tonalität aufweist. Nach dem langsam Finalsatz sollte jedoch Schluss mit der Ruhe sein. Es folgte das dramatischste, "unversöhnlichste" und düsterste Streichquartett Mendelssohns, was sicherlich größtenteils im Tod seiner Schwester begründet liegt. Es ist sein letztes und in der Tonart f-Moll (op. 80), in seinem und Fanny Hensels Todesjahr (1847), komponierte Streichquartett.
Der Komponist spart hier nicht mit Sätze, die mit Ausnahme des langsamen dritten (Adagio) mit überaus schnellen Bezeichnungen betitelt sind: Allegro vivace assai, Allegro assai und Allegro molto. Diese Angaben wurden vom Leipziger Streichquartett mehr als wörtlich genommen. Dem ersten Satz, wild interpretiert, mangelte es nicht an Dramatik. Er endet nahezu in einer Explosion, welche durch die erste Geige hervorgerufen wird und man erwartet nun eigentlich Entspannung. Aber Mendelssohn ist ganz und gar nicht danach, er steigt in die Dramatik zurück und kommt erst im Trio des zweiten Satzes zu etwas Atem. Das Gefühl wird hier auch sehr realistisch dem Zuhörer vermittelt, welchem schonmal der Atem stehen bleibt. Wie der erste, wird auch der zweite Satz wiederum in einem Wildsau-Tempo* dargeboten und lässt das Publikum vor Spannung erstarren. Der langsame Satz bleibt sehr fließend, verliert aber dadurch nicht seine Andacht. Der Finalsatz dreckig* schnell. Jedes andere Streichquartett wäre danach erschöpft. Das Sharon Quartett beispielsweise spielt alle Sätze in seinen Aufnahmen in etwas mehr als dem halben Tempo. Aber es folgt anschließend noch nicht die Pause!
*Diese Aussage ist durchaus als positiv zu werten.
Jörg Widmann, der nicht viel älter ist als die Mitglieder des Roktetts (geb. 1973) und ein vielschaffender Komponist und Klarinettist ist, schreibt ein Quartett, das sehr auf Effekte bedacht ist. Große Teile des Stückes finden sul ponticello statt, gerne auch mal auf dem Teil der Saiten, der unterhalb des Stegs liegt. Der Bogen darf die Saiten, die den Stachel mit dem Saitenhalter verbinden, zum Erklingen bringen oder auch ein knarzendes Geräusch auf der Rückseite des Instruments erzeugen. Das Stück ist ausgedehnt und enthält so viele extrem stille Momente, dass das Publikum nicht weiß, ob das Stück schon zu Ende ist und gegen Schluss gar ungeduldig wird. Das Stück besteht übrigens aus mindestens genauso viel Schrifttext wie Noten, wie wir am Ende vom Bratschisten gezeigt bekamen.
Der Klang der Leipziger ist sehr "offen", fast als schwebend beschreibbar, eine "barockoide" Spielweise mit wenig vibrato und viel leeren Saiten (auffällig vor allem beim Mendelssohn) - unterstützt durch den Hall des Festsaals im Inselhotel.
In der Pause spekulierten wir, ob der Finalsatz von Beethovens drittem Rasumovsky Quartett wohl seinem Namen alle Ehre machen und die schnellste Version, die wir je hörten, sein wird. In der Tat zum Schluss gar zu schnell für meinen Geschmack, das zu leichter Schlampigkeit in der ersten Geige führte. Trotzdem eine erstaunliche Leistung. Man bemerke, dass ein Cellist im Allgemeinen selten so schnell mit den Fingern über die Saiten sprintet und das mit so viel Präzision.
Am Ende "versöhnten" sie sich mit uns und der Musik mit einem Choral (passend zu Widmanns Choralquartett) von J. S. Bach als Zugabe. Alles in allem ein schöner Abschluss, dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Außer einem Autogramm in unserer CD-Schachtel.