Die Voraussetzungen waren in toto nicht die besten. Gerade eine Grippe hinter sich gebracht zu haben und dann die Meistersinger als Wiederaufnahme. Aber, um dies sogleich vorweg zu nehmen, ich war aufs Angenehmste überrascht in allen Belangen. Zunächst einmal eine unschöner Beginn: Wer kam eigentlich auf die – pardon – schwachsinnige Idee an der Abendkasse des Opernhauses Sozialamtsatmosphäre zu schaffen. Man zieht um seine vorbestellten Karten zu bekommen eine Nummer und wartet den Durchgang zum Restaurant Belcanto und zur Kulinarabteilung vor dem Bernhard-Theater blockierend bis diese Nummer mit dem amtstypischen Läutsignal aufgerufen wird. Dann darf am am Schalter sein Anleigen vortragen. Wenn man alsdann für eine Karte rund 250 SFR bezahlt hat, kommt man sich schon sehr, sehr – ich formuliere vorsichtig – komisch vor. Hier ließen sich doch sicher andere Lösungen finden?
Die Lehnhoffsche Inszenierung ist immer noch angenehm schlicht, nur in der Festwiesenszene etwas klassizistischer Pomp auf der Bühne. Der erste Akt sehr solide in einer Kirche, deren Bänke zur Singschule umgestellt wurden und eine Vielfältig einsetzbare Kanzel. Auch der zweite Aufzug überzeugte durchaus, eine einfache ins Arriere laufende Treppe, vor der Sachs sein Schustertischchen aufgestellt hat und von deren oberem Ende der Nachwächter (solide mit leicht fremdländischen Accent Tomasz Slawinski) die frühsommerliche Keilerei beendet. Sogar der ein oder andere Regieeinfall lockerte die Szenerie auf – auch wenn Walther und Eva sich nur im Kästchen des Maestro suggeritore verstecken und Lene aus der ersten Seitenloge interagiert. Der Dritte Akt im Hause Sachsens ist dann sehr mit Büchern belastet und gerät etwas in die Länge, aber das ist verzeihlich, weil der Übergang zur Festwiese erstaunlich nett gerät. Man hat selten erlebt, dass eine Bühne sich so anmutig weitet. Als sehr angenehm sei noch konstatiert, dass die Inszenierung auf irgendwelche mittlerweile sehr zur Üblichkeit gewordenen Nazibelehrungen verzichtet: Sachsen Bücher werden nicht verbrannt, Beckmesser ist kein chassidischer Jude und keine Saal-SS patroliert auf der Festwiese. Ob das Publikum soviel Glück bei Homoki auch gehabt hätte?
Das Dirigat Phillipe Jordans war eine rundum überzeugende Sache, schwungvoll und stilgerecht ging es zur Sache. Man verlor nie das Gefühl, im musikalischen Geschehen zu sitzen und hörte doch zugleich, mit wieviel Detailkenntnis und –bewusstsein der junge Maestro zu Werk geht. Einzig versäumte er es, im dritten Aufzug nach dem Wahnmonolog die orchestrale Fahrt wieder aufzunehmen, was dem Fluss und der Kurzweil bei der Liedtaufe doch sehr unzuträglich war und die Standfestigkeit der Sänger beanspruchte. Das Orchester zeigte sich in guter Verfassung, die in Zürich obligatorischen Hornflatulenzen fielen da nicht weiter ins Gewicht. Auffallend war der ausgezeichnete Bühnenkontakt des Grabens und seines Chefs; hoffen wir, dass Gatti und Luisi dass auch nur ansatzweise so hinbekommen, bisherige Testläufe verheißen nicht ausschließlich Gutes. Der Opernchor war gut einstudiert, eine gewisse Neigung zur Überlautstärke scheint derzeit unter Opernchören üblich. Ob das immer zum Vorteil gereicht, naja.
Die Sängerbesetzung konnte an diesem Abend durch die Bank überzeugen. Die Meistersinger waren durchweg mit alten Zürcher Bekannten besetzt, Cheyenne Davidsons Fritz Kothner zeichnete sich durch eine wohlbekannte, hupige hohle Kehle aus, ansonsten darf man keine Beanstandungen vorbringen – man hört das nirgendwo besser und netter. Matti Salminen als Veit Pogner wirkte etwas erschöpft und ließ die höheren Töne (Weise, Pogner und Eva) in bewährte Weise eher erdig angehen; er hat das schon besser gesungen, aber er war mir auch noch nie so sympathisch wie an diesem Abend – nun schuf ihn Gott zum reichen Mann, und ja, er gibt uns wie er kann. Möge das noch lange der Fall sein.
Edith Haller gab eine sehr blonde Eva, ihre Töne waren nicht immer auf der notierten Tonhöhe und sie neigt etwas zur Flächigkeit; was die Karriere ihr bringen wird, steht noch in den Sternen, vielleicht hat sie sich etwas zu rasch den großen Partien verschreiben lassen. Doch lassen wir das Kritteln – wer sollte gerade eine hübschere und sanglich rundere Eva geben? Wiebke Lehmhuhl ließ eine sehr weiche und gelenke Lene auf die Bühne treten, die aber im Gefecht zum Ausgang des zweiten Aktes durchaus Pfeffer und Feuer sprühen lassen konnte. Ihre reine und bei Bedarf sehr kräftige Stimme macht Hoffnung, auch wenn ihr die volle Fülle zum runden Mezzo noch ein kleines Bisschen fehlt.
Robert Dean Smith als Walther kann für sich ins Feld führen, dass es zu Zeit wenige Sänger gibt, die diese Partie wirklich adäquat beherrschen, und dass die Partie einfach extrem ungnädig ist. So konzedieren wir an diesem Abend seine verhärteten Zwischentöne, seine stentorhaften Anfälle nördlich des E und seine Affinität zum Quetschen. Man kann positiv feststellen: Er hat nicht nachhaltig gestört, und das ist für einen Stolzing dieser Tage schon eine ganze Menge. Das eigentliche Highlight des Abend und weder live noch auf Tonband/Festplatte/Plastik so von mir vernommen war Adrian Eröd als Sixtus Beckmesser. Mit einer absoluten Raumbeherrschung auf der Bühne und einem warmen, den Raum voll fassenden und tragenden Bariton trug er die Rolle des Stadtschreibers in eine neue gesangliche Dimension: Klarste Textverständlichkeit, absolute stilistische Sicherheit, nicht ein Hauch vom Hang, die Rolle in den Bereich der Lächerlichkeit zu führen, und vor allem sein Wille und seiner Fähigkeit zur gesanglichen Gestaltung lassen nur darum hoffen und bitten, ihn doch möglichst öfter an diesem Hause hören und sehen zu dürfen.
Bleibt noch das Schusterpärchen: Peter Sonn ist ein lustiger, äußerst textklarer David, der die buffonesken Fallstränge der Partie mit Bravour meistert. Er muss nicht schreien, er kann gestalterisch sicher die vielen und undankbaren Noten und Weisen mit lockerem Schmelz klingen lassen, eine Überforderung stand für seine noch etwas weiße Stimme an keiner Stelle zu befürchten. Anderes schien da für den Altmeister der Bass-Bariton-Partien zu gelten; Alfred Muff war eine ausgezeichneter Wotan, ein fast unerreichter Holländer und ein nie wieder erreichter Barak. Aber einen Sachs? Ich muss ihn für meine Zweifel um Verzeihung bitten. Im ersten Akt noch zurückhaltend singt er sich in die mörderische Partie des Schusterdichters und Stadtlieblings, die schon immer vorhandene Neigung zum Deklamieren der kurzen Noten kommt der Rolle geradezu bilderbuchmäßig zu Gute; spätestens mit dem Fliedermonolog war klar, dass hier ein wirklicher und bedeutender Hans Sachs auf der Bühne steht; allenfalls Struckmann wird derzeit Vergleichbares bieten können. Das Ende des dritten Aktes musste Muff zwar mit drei Sängerpastillen in Angriff nehmen, aber wer könnte ihm das bei dieser Partie auch verdenken? Volle Höhen und klare Sprache ließen da kleinere tonliche Höhenverfärbungen als kaum störend erscheinen. Was wollt ihr von den Meistern mehr?
Nach etwas mehr als 6 Stunden (inklusive zweimal etwa 35 min. Pause) war der Abend zu Ende und ich mit den Meistersingern von Nürnberg versöhnt, auch wenn einem der letzte Akt dann doch etwas Sitzfleisch abverlangte. Eine rundum runde Sache. Man versteht in Zürich Wagner zu geben, das lässt auf die nächste Saison mit Tannhäuser und Parsifal hoffen. Mögen wir nicht enttäuscht werden.
1 Kommentar:
…wenn ich mir allerdings die präwilhelminische Bramabasiererei im Finale anhöre, wünsche ich mir manchmal, Sachs sänge sein Resumé auf Klingonisch, dann versteht es wenigstens keiner :-)
Nun ja, am Freitag gibts jedenfalls den kosmopolitischen Niederländer.
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