Beim großen open-air-Spektakel der New York Philharmonics herrscht Picknickpflicht - ich griff also eine Flasche pappsüßen Importrieslings (trau nie deinem Weinhändler) und eine Tüte Cracker und traf mich mit zwei Freunden auf der Wiese im Central Park, zusammen mit einem Gutteil der Stadtbevölkerung.
Alte open-air-Weisheit: Selbst wenn man das Konzert in der Sahara gäbe - wenn es regnen kann, wird es regnen. Erstaunlicherweise war trotz der Sintflut am Vormittag der Great Lawn noch kein Great Puddle, da müssen sie wohl zwischenzeitlich das Gras gefönt haben - und es blieb mehrheitlich trocken, nur das Feuerwerk fiel aus: aber wozu braucht man ein Feuerwerk, wenn man das Konzert in der südlichen Einflugschneise von La Guardia gibt?
Es ging los mit ausführlichen Grußworten der Philharmoniker, der Stadt Shanghai und der Stadt NY. An diesem Abend gab es zwei Orchester zum Preis von einem, aufgrund der unsicheren Wetterlage wurde den Gästen der Vortritt gelassen.
Das Shanghai Phiharmonic im direkten Vergleich mit den New Yorkern: stramme Tempi, weniger rund im Klang - soweit man das über die Lautsprecher mitkriegen konnte. Das Programm war herrlich absurd:
Die Tannhäuser-Ouvertüre gefolgt von 3 Opernnummern (Largo al factotum, ein generischer Gounod aus Roméo et Juliette und La ci darem la mano), eine Ode an die Expo und zum krönenden Abschluß der Herr Lang Lang mit der Rhapsody in Blue. Besagte Ode war ein grandioses postkommunistisches Pasticcio, zusammengeklaubt aus allem, was die europäische Hoch- und Spätromantik so zu bieten hat. Irgendwann fingen sie dann auch noch an zu singen.
Man sollte die Zuschauer nicht per SMS über die Zugabe abstimmen lassen: statt Chopin gab es ein chinesisches Volkslied mit noch mehr pathetisch-pianistischem Rumgeklingel.
Es folgte eine üppig bemessene Umbaupause - braucht man echt 45 Minuten, um ein Standardsymphonieorchester gegen ein anderes auszutauschen?
Zeit genug für alle Kinder, sich mit regenbogenfarbene LED-Ratschen und Lichtschwertern einzudecken, die man beim Tannhäuser hätte schwenken können, wenn er programmgemäß nach der Pause erklungen wäre.
Schließlich und endlich spielten NY Philharmonics ein klassisches Outdoor-Programm mit Schmackes und Ortsbezug: die Polonaise aus Eugen Onegin, die Symphonic Dances aus der West Side Story und zum Abschluß Ravels Boléro. Ehrlich gesagt find ich den nachts um 11 eher anstrengend und öde - und entweder ist er passagenweise übermäßig bitonal oder die Pikkoloflöte hatte sich verzählt. Der Tschaikowsky ist bei mir etwas negativ belegt - nicht, daß die New Yorker zwischendurch hätten abbrechen müssen… Der Bernstein machte mir da mehr Freude, und sie spielten ihn mit Gusto - man will ja schließlich nicht, daß der Herr Komponist sich 2 Kilometer weiter im Grabe umdreht (Achtung, Ortsbezug!!)
Die Nachbarn hielten sich nicht im Geringsten an die Bitte der Veranstalter, Konversationen auf das Nötigste zu beschränken - mit beeindruckend tragfähigen Stimmen. Wenn nicht gerade forte gespielt wurde, bezwangen sie mühelos den Lausprecherturm direkt vor uns. Hier eine kleine Gegenüberstellung von Musik und Gesprächsthemen:
Tannhäuser - Diäteis
Gounod - Würstchen
Gershwin - Hamburger
Bernstein - Nerds und Harvard MBAs
irgendwo dazwischen: Seafood
Böse Blicke meinerseits halfen nicht das Geringste. Jammert hier noch jemand über Zürcher Abonnenten?
Freitag, 8. Oktober 2010
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