Sonntag, 19. Oktober 2008

Aiuta Aida! Verdis Suezoper in Zürich (Samstag, 17.10.2008)

Auf gewohntem Platz hatte man heute wieder einmal eine kurzfristige Änderung vorzufinden: Amneris oder vielmehr deren Darstellerin Stefania Kaluza war erkrankt; in diesem Fall nahm man das mit freudigem Blick zur Kenntnis: Annamaria Chiuri sollte vertreten, zumindest keine Umbesetzung, die in einen zurück ins Parkhaus treibt.
In der brütenden Hitze des Opernhauses gab es dann einen gepflegten Repertoire-Abend zu erleben. Die Inszenierung (Nicolas Joel) versetze die Handlung kurzweg in die Kolonialzeit, eine nette Idee: Englische und Französische Touristen schauen neugierig dem munterem Abschlachten und Treiben und Ritengefeiere der Äthiopier und der Ägyter zu. Das Bühnenbild (Ezio Frigerio) machte die ohnehin schon recht enge Bühne noch ein bisschen enger und war um es kurz zu machen etwas blöd: Der mit zwei dicken Bertas bestückte Nildampfer, auf dem Radames vom siegreichen Feldzug zurückkehrt, war sicher nicht schwimmfähig, und überhaupt hat man mit Kieltüren schlechte Erfahrungen, gerade wenn sie zum Be- und Austreten benutzt werden. Und: Gibt es in Ägypten tatsächlich so viele Gewächshäuser? Außerdem war es die ganze Zeit so völlig unägyptisch dunkel auf der Bühne. Nun gut, kommen wir zum Wesentlichen, der Musik.
Annamaria Chiuri schlug sich sehr respektabel, sie singt sauber, mit noch sehr fester und sicherer Stimme, keine störendes Vibrato, aber auch kein volles weiches Mezzoströmen. Ihre Amnersi war solide, aber nicht mitreisend, sagen wir zweite Garnitur und zeimlich gut angezogen. Chiara Angella gab eine Aida, die sehr zerbrechlich wirkte, nicht nur weil sie eine sehr zarte Person ist, sondern weil sie keine Aida der großen Töne war: Ihr Piano ist hinreisend, sicher eingesetzt und sauber in der Maske, ihr Forte dagegen wirkt recht matt und leidet an einem vehemten Vibrato, das man nicht unbedingt noch verstärkt wissen möchte. Mit ihr erlebte man die innigsten Momente des Abends und man würde sich wünschen, sie einmal wieder in Zürich zu sehen, vielleicht in einer Partie, die ihrer stimmlichen Disposition etwas mehr entgegen kommt.
Ihr Gegenüber Radames, war mit Salvatore Licitra recht prominent besetzt, der mittlerweile äußerlich sehr runde Tenor hinterließ stimmlich einen unrunden Eindruck: Berückend das Schluss - B im "Celeste Aida" ins Pianissimo zurückgenommen, zu kämpfen hatte er nie; er singt die Partie souverän und nie um ein paar kräftige Töne verlegen. Störend ist einfach seine Stimme, die nur selten wirklichem Schmelz entwickelt und im ganzen eher zum Schreien verführt, hoffen wir, dass er das nicht allzuoft macht: Er ist eine solide Besetzung und hatte recht berückende Momente, die freilich durch armdicke, blöckende Geräusche zu leiden hatte, die zwar in die Stütze, jedoch weit aus der Maske gesetzt waren. Juan Pons verwaltete als Amonasro solide die Rudimente seiner Stimme, er singt sehr einzeltonbezogen und hatte am Anfang etwas mit Luft und Rotz zu kämpfen. Dennoch muss man zugestehen, dass er den souveränsten Eindruck hinterlassen hat. Der König von Giuseppe Scorsin war normal und solide, eine brauchbare Ensemble-Besetzung. Das kann man von Andreas Hörl s Ramfis nicht behaupten: Da singt einer eine Basspartie, der sicher kein Bass ist, weil er über keinlerlei Tiefe verfügt, sondern einfach nur in der ihm von seinem Lehrer Kurt Moll vererbten Quetschknödelei den Mund aufsperrt, und wenn man einen tiefen Ton hört, klingt er wie aus einem Jauchefassdidgeridou gezogen. Überhaupt ist die klangliche Ähnlichkeit zu seinem Lehrer das frappanteste an der Stimme. Herr Hörl: Bitte, bitte singen Sie doch Bariton, das ist das, was sie können! Merkt das ihr Stimmpate nicht? Ein Kurzes tenorales Glanzlicht war der Auftritt des Boten, der mit viel Schmelz und sicherster Technik überzeugte. Von Benjamin Bernheim wird man noch hören, trotz des Namens!
Die Enttäuschung des Abends war das Dirigat von Miguel Gomez-Martinez und die Leistung des Opernorchesters: Die Ouvertüre matt und flügellahm wie Kornflakes in heißer Milch, mangelnde Kommunikationsbereitschaft des Orchesters trotzte dem Bemühen des Dirigenten. Die Tempi des Maestro waren sehr eigenwillig: Man kann Verdi so langsam spielen, dass sogar ich gähne, da hilft es auch nicht, dass man am Ende der Bilder das Tempo kurfristig verdreifacht, was dann der Chor und die Sänger nur eingeschränkt mittragen können. An dieser Stelle der Appell an Xandi Pereira: Bitte Herrn Gomez - Martinez nicht zum GMD berufen, auch wenn oder gerade weil er in Bern tätig ist!
Alles in allem ein Opernabend mit luciden Momenten aber zu wenig Charme, um ein "vai un bis" in den Raum zu werfen. Und bitte: Irgendwer muss die Luftumwälzungsanlage reparieren!

Freitag, 10. Oktober 2008

Wir haben den Zimerman vergessen...

...und bevor die nächsten Konzerte anstehen, wollen wir ihn doch wenigstens erwähnt haben.
Also: das Roktett hat sich inclusive versammelter Elternschaft nach Schaffhausen begeben und dort in einer Kirche den Südwestdeutschen beim Schrubben zugehört.
Wahrscheinlich haben wir nicht den besten Eindruck hinterlassen, als sich unsere gesamte Reihe während Tschaikowskys "Romeo und Julia"-Ouvertüre statt durch Ergriffenheit durch Lachkrämpfe ausgezeichnet hat, aber das Zeug ist tatsächlich auch schmalzig bis zur Schmerzgrenze.
Da lobte man sich den Auftritt Krystian Zimermans (des Krystian Zimerman) - er spielte mit teilweise etwas angespanntem Gesichtsausdruck Lutoslawskis Klavierkonzert "For Krystian Zimerman", wobei sich die Frage stellt, ob der Gesichtsausdruck dem Stück oder dem Orchester geschuldet ist.
Nach einem kurzen Ausflug in die Niederungen des Groupie-Daseins gab es einige Stücke aus Prokoviews "Romeo und Julia", ganz wunderbar, und nein, diesmal sind wir danach nicht bei McDoof gelandet.

Dienstag, 30. September 2008

Endstation Schwindsucht


Heute abend fand auf dem Züricher Hauptbahnhof eine Aufführung von La Traviata statt.
Arte übertrug live und stellte auch gleich ein Interview mit dem Regisseur online.
Die Sänger durften gegen den Bahnhofslärm mit Mikro ansingen, für den Kontakt zum Dirigenten sorgten 3 Subdirigenten, und der Beginn wurde durch einen Startschuß angezeigt. Außerdem war es saumäßig kalt.
Die Inszenierung brilliert mit 15 HD-Spider- und Steadycams, kilometerweise Kabel, Legionen von Mikrophonen, Handfunkgeräten, Scheinwerfern und ein paar prominenten Sängern (die haben dann auch schön gesungen). Durchreisende werden gebeten, nur im äußersten Notfall mitzusingen.
Es bleibt eine marginale Frage: wieso?
Wenn ich mich recht erinnere, hat Zürich ein ganz brauchbares Opernhaus, in dem man auch ohne Schnellzüge und Rolltreppen Verdi spielen kann - auch wenn das Finale der Traviata im Zug den Vorzug hätte, daß man verblichene Halbweltdamen an der Station Hauptfriedhof gleich entsorgen kann. Praktisch.
Auch die Deutsche Bahn könnte sich ein Beispiel nehmen: Statt der ewigen technischen Probleme könnte man als Verspätungsgrund "Rigoletto" oder "Parsifal" angeben.
So ein Bahnhof ist auch ein intimer und charmanter Opernschauplatz - im edlen Wettstreit mit dem "Hamlet im Bahnhofsklo" des Konstanzer Stadttheaters oder Shakespeare in the Parking Lot.
Immerhin will man mit diesem Event die Leute "da abholen, wo sie ihr tägliches Leben verbringen" und quasi direkt in das elitäre und ach so überteuerte Opernhaus verfrachten. Aber was soll man von einer Oper haben, die über einen ganzen Bahnhof zerpflückt wird, wie die Ausreißergruppe der Tour de France mal kurz ohne Orchester am Publikum vorbeigaloppiert und nicht einmal per Großbild übertragen werden kann, weil es sonst Rückkopplungen gäbe? Ironischerweise kam man in den vollen Genuß nur vor der heimischen Glotze - da war es dann aber auch überraschend eindrucksvoll. Verdi ist nur schwer totzukriegen.
Die Holzklasse im vornehmen Züricher Opernhaus kann man sich übrigens schon für ca. 30 Franken leisten - das entspricht 3 Kinokarten. Ebenso sind die Londoner Proms in the Park und das Bayreuther Public Viewing erprobte Methoden der öffentlichen Klassikverbreitung.
Arte bezeichnet das Event als "ein Experiment, das man noch nie zuvor versucht hat" - die Harvard-Fachschaft vergibt für solche Experimente jährlich die IgNobel Prizes.
Wir überlassen den Regisseur das Schlußwort: "…das war die Ursprungsidee … daß die Leute die Züge verpassen, weil sie nicht mehr durchkommen."

Der Mitschnitt der "spektakülären Aufführung" ist übrigens noch 3 Wochen auf Arte.tv verfügbar.

Sonntag, 7. September 2008

Berlin Berlin

Man fährt in die Hauptstadt, um sich Kultur zu geben - nun ja, nicht nur, aber auch, und so erwartet man doch einiges, was man in der Provinz nicht zu sehen bekommt.
Zum Beispiel: ein Gratiskonzert auf dem Bebelplatz, gesponsert von einem bayerischen Automobilhersteller, der vor dem Konzert fleißig Werbung machen durfte, aber das nahm man gern in Kauf, die größere Sorge war, wie man Beethovens Neunte ohne Sonnenstich oder klaustrophobische Anfälle überstehen kann.



Auftritt Barenboim mit seiner Staatskapelle, nur über die Leinwand zu erkennen, aber auch das ist durchaus nett, schließlich kommt es bei einem solchen Anlass auf die Atmosphäre an und die ließ nichts zu wünschen übrig, die Leute packten stilvoll in weiß gekleidet ihre Picknickkörbe und Champagnerflaschen aus, so dass man hätte neidisch werden können. Bei dritten Satz schwächelten wir, aber da wir Beethoven nicht für den Rest unseres Leben mit einem Blick auf nackte Füße in Verbindung bringen wollten, standen wir bald wieder auf und genossen das große Finale stehend, mit Blick auf die Uhr, um uns danach am Prenzlauer Berg den Bauch mit indischen Köstlichkeiten vollzuschlagen.
Am nächsten Tag Führung in der Philharmonie, der demokratischen, der schlaue Architekt hat es so eingerichtet, dass die einzigen Plätze mit schlechter Akustik die abgetrennten für die VIPs sind.
Sympathisch.
Ein halbes Streichquartett musste im Kammermusiksaal natürlich gleich noch so tun als ob.




Die Akustik konnten wir am Dienstag beim Konzert des mit vielen Vorschusslorbeeren bedachten Simon Bolivar Youth Orchestra unter Gustavo Dudamel (oder auch: der Hampelmann) testen - sie ist tatsächlich so gut, dass die von mir ohnehin nicht mit viel Liebe betrachteten Blechbläser bis in den letzten Winkel in ohrenbetäubender Lautstärke vordringen. Strawinskys "Sacre du Printemps" war vor allem laut, Tschaikowskys Fünfte nicht, aber die drei Zugaben wurden mit großer Begeisterung gespielt - zwei südamerikanische Showeinlagen inclusive tanzender Musiker und als krönenden Abschluss den Radetzky-Marsch.
Hat man da noch Töne?

Mittwoch, 3. September 2008

Ein Lied geht um die Welt, oder: Rette sich, wer kann

Gründe, den "Sommarpsalm" nicht auswendig zu lernen:
  • das Ding geht los mit "En vänlig grönskas rika dräkt har smyckat dal och ängar..." und 3 verflixt schwedische Strophen weiter
  • ich bin Naturwissenschaftler und nicht Linguist
  • man muß nicht wissen, wie es geht, solange man weiß, wo es steht
Gründe, warum man zähneknirschend die Noten wälzt:
  • das Lied ist eine der 138 inoffiziellen schwedischen Nationalhymnen
  • der Dirigent hat es befohlen
Warum am Ende die Faulheit siegte:
  • lieber noch mal Martin und Poulenc geübt
  • wenn ich mich neben eine stimmstarke Schwedin stelle und "köttbullar, starköl, bork, bork, bork" brummle, merkt das auch keiner
Am Konstanzer Bahnhof befand man, daß die effektivste Lernmethode lautes Singen in Endlosschleife sei. Dieser Meinung war man (zunehmend unter "die gehören nicht zu uns" einzuordnen) auch noch im ICE, auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof, in der S-Bahn und auf dem Flughafen hinter dem Sixt-Reklameauto. Irgendwann fragten wir uns, ob wir schon unter Terrorverdacht stehen. Unter Mitwirkung kreativer Schweden und meiner Mitbewohnerin entstand daraus folgender schlechte-Fernsehserien-inspirierter Dialog.

Agent an MI6CIAGSG9KGB-Hauptquartier (HQ): "Report: Suspicious singing activities all over southern Germany."
HQ:"Get more specific?"
Agent: "Traced it from Konstanz to Stuttgart. Sounds ... Swedish ... somehow." ...
Agent: "We lost the song! Repeat: We LOST the song!!"
HQ: "Capture that song, dead or alive! ... Strike that out. The singers."
Agent: "Found it. It's in Stockholm. Where's that again?"
HQ: "Code RED! Surround Sweden! Surround Sweden!!"
Einige Truppenbewegungen später. Die Spezialeinheit für musikalische Härtefälle stürmt ein Theater in Stockholm.
Agent: " Caught in the act. FREEZE!"
Laaange Fermate.
Agent: "Drop your music. Slowly."
  

Ansonsten:
  • Yep, die Schweden können singen. Und feiern.
  • Stockholms Altstadt sieht aus wie Norditalien auf Eis.
  • Hochzeit heißt auf Schwedisch Bröllop.
  • Ich habe einen Schokoladen-Nobelpreis.
  • Der Domdekan bloggt.
  • Schön wars.