Freitag, 15. August 2008

Melodramma eroi-comico mit obligatem Bleßhuhn

oder: Das Auge ißt mit

Wer nach Bregenz fährt, muß sich einlassen können: auf "Technik, die begeistert" statt musikalischer Kammerspiele, Beschallung aus Lautsprechertürmen, Durchsagen, die auch vom Stadionsprecher kommen könnten ("Wir danken den Sängern für diese tolle Show unter schwierigen Bedingungen..."), Trockeneisnebel, Stuntmen und Lightshow - ein gewaltiger Schieß-Budenzauber inklusive Füsillade und Ministrantenmassaker.

Dafür gibt es aber auch das volle Programm - den berühmten Sonnenuntergang, den speziellen open-air-Charme, dazu ein eigentlich hochklassiges Ensemble. Und Tosca, dieser dreckig-opulente Opernkrimi, paßt in das Ambiente.

Ich hatte spontan am Vortag noch eine Karte in der Proletenkategorie ganz unten rechts ergattert. Akustik und insbesondere Beleuchtung waren teilweise verheerend: so blendeten die Scheinwerfer und die Soloklarinette hatte ein unangenehmes Echo. Auf den billigen Plätzen versagt auch die Surround-Akustik, sodaß alles ziemlich irritierend ohne Raumklang nach Konserve von links klingt - und die könnte ich vor meiner Stereoanlage besser genießen. Immerhin bekam man die eindrucksvollen Bühneneingeweide hier aus nächster Nähe zu sehen, ebenso die Dirigenten-Videoübertragung für die Akteure.
Die angeblich geräuschlose Hydraulik zischte immer wieder vernehmlich in die Entr'actes hinein. Die Bühne ist zum Teil extrem hoch gebaut, sodaß man in manchen Szenen - wenn überhaupt - gerade noch die Köpfe der Sänger sah. Die Inszenierung verläßt sich nicht sonderlich auf direkte Interaktion zwischen den Sängern, die Distanzen sind gewaltig. Im ersten Akt fährt man auf einer Malerbühne am Auge auf und ab, Tosca verbringt den gesamten 3. Akt mehrere Meter über Cavaradossi, der läuft an einer langen Kette über die Riesenpupille und hätte damit das Schild "Vorsicht, bissiger Tenor" verdient. Die aufwendigen Videoprojektionen tun ihr Übriges, von den Sängern abzulenken. Bregenz eben.

Sänger
Tosca (Babajanyan): In den dramatischeren Forte-Partien fand ich ihr Vibrato manchmal etwas aufdringlich ("da kann ein Löwe durchspringen") - dafür sang sie ein lyrisch-butterweiches "Vissi d'arte". Wäre ich kein zynischer Naturwissenschaftler, hätten mir die Tränen kommen können.
Cavaradossi (Sandoval): eine äußerst schöne Stimme, vom Lyrischen bis zum Heroischen, manchmal fast zu schön (Puccini ist doch schon kitschig genug). Die dreifache Fermate auf dem Vittoria-Brüller war allerdings bis ins Unerträgliche gezogen - wollte er einen Rekord brechen oder fand er den Weg vom hohen Ais nicht mehr herunter?
Scarpia (Sidhom): überzeugte mich nicht so sehr, für mich ist die Figur gerade im Zusammenspiel mit Tosca zynisch-schmieriger Pseudo-Galan und nicht einfach nur (auch stimmlich) brutal.

Zum Bühnenbild sage ich jetzt mal nichts, das hat Holly Cat ja schon kritisiert.

Kostüme: Der wahre Folterknecht muß hier am Zeichentisch gesessen haben. Ob feuerwehrrotes Jackett zu Burgunderhosen und gestreiftem Seidenhemd (Cavaradossi) oder volant- und glitzerbewehrte Alpträume in pink (Tosca), es wurde keine Grausamkeit ausgelassen. A propos: welchem Bond-Film ist eigentlich die kurvige Folterdomina im grauen Glanzkostümchen entsprungen?
Einzig Spoletta trug stilsicher einen zeitlosen Trenchcoat, was in Anbetracht der Witterung auch nicht schlecht war - zum 3. Akt hin begann es leise zu nieseln. Während Scarpia sich nach Leibeskräften um ein spektakuläres Ableben bemühte, packte man im Publikum in aller Gemütsruhe die Regenjacken aus.

Tierisches Vergnügen: die Bleßhühner unter der Bühne kommentierten als griechischer Chor das Geschehen (Synkopen sollten sie aber noch mal üben), im 2. Akt leistete ihnen auch noch ein vernehmlicher Frosch auf Scarpias Stimmbändern Gesellschaft.

Auch der offene Spielort machte sich bemerkbar. Frittenduft verstärkte die Stadionstimmung, ab und zu zog ein Schiff vorbei. Bei "E lucevan le stelle" fuhr eine Ambulanz neben dem Festspielhaus vor. Man stellte fest, daß der blutverschmierte Mensch auf der Bühne doch noch ganz wacker brüllen konnte, und verzog sich wieder.

Bedeutungsschwangeres auf dem Weg zum Parkplatz: Außer dem dekorativen Bronzedingsda bot sich dem Auge auch noch der Leuchtschriftzug über dem Festspielhausdach. Nicht etwa eine Erinnerungshilfe für durchreisende Physiker oder die österreichisch-innerortige Geschwindigkeitsbegrenzung, sondern Kunst am Bau. Wer da noch nach Bedeutung sucht, mag sie hier in beliebiger Ausführlichkeit finden.

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