Montag, 7. Dezember 2009

München ist auch nicht schlecht

Wer in der Provinz wohnt, muß sich zu helfen wissen. Gut, wenn man aus alten Zeiten noch haufenweise kulturbeflissene Freunde in diversen Großstädten mit ausreichend Gästesofas hat. Am letzten Donnerstag fanden wir uns also im Münchner Herkulessaal zum Stelldichein mit dem BR-Orchester unter David Robertson und Vadim Repin ein. Das Programm war tendenziell ohrenfreundlich, aber doch mutiger als die ewige Würzburger Mozart-Mendelssohn-Leier: das Brahms-Konzert op. 77, in der zweiten Hälfte dann Ravels Valses nobles et sentimentales und Skrjabins Poème de l'extase.
Auf die Gefahr hin, als analfixierter Akustiker verschrien zu sein, erst zum Saal: Trotz der sehr ähnlichen Bauweise hat mich der Herkulessaal deutlich mehr überzeugt als der große Saal der Tonhalle: Auf der Galerie, Mitte links, relativ nah an den ersten Geigen, war der Klang ausgeglichen und transparent, dabei aber durchaus nicht trocken. Die Höhen waren freilich ziemlich schrill. Schade um die lyrischen Partien im Brahms.
Der ist  jedem Zuhörer sattsam bekannt - im Konzert hatte ich ihn allerdings noch nicht gehört. Die Interpretation war durchaus sportlich, insbesondere im rubatofreien Einstieg der Sologeige im ersten Satz. Repin, der nur am Anfang noch etwas schlampte, beeindruckte in der virtuosen Attacke, die lyrischen Passagen waren mir persönlich etwas zu offen, zu wenig intim. Vielleicht störten da auch die spitz übertragenen Höhen.
Mitreißend war das Rondo: da stolperten die Synkopen und rhythmischen Schiebungen in den tanzenden Dreiachteltakt, daß es eine Freude war, kleine Details wie die Streicherschnulpen in der Stretta bekamen gestaltende Kraft und Repins fröhlich-kräftiges Zupacken sorgte für Spaß auf und vor der Bühne.
Nach der Pause machten sie mit Ravel etwas gedämpfter weiter. Das aufgestockte Orchester glänzte jetzt solistisch und spielte wacker und nicht allzu sentimental, aber zum Walzer hätte man sich an dieser Stelle, wenn nicht Kaffee und Sachertorte, doch grünen Tee und ein, zwei Petit fours zur Stärkung gewünscht.
Inzwischen war es auf dem Podium gehörig voll, inklusive 8 Hörnern, Baßtuba, Kontrafagott, Celesta, Glocke, und man produzierte gekonnt Extase.
Schlußapplaus. Zwei Eindrücke: Mann, das war mal richtig laut. Kriegen wir das nochmal langsam zum Mitschreiben?

Dienstag, 10. November 2009

Mendelssohn - Mozart 1:0

Das Freiburger Barockorchester in Würzburg

Man sollte ja nicht meinen, es gäbe im tiefen Frankenland keine Kultur. Allerdings ist das Programm der Würzburger "Meisterkonzerte" ausgesprochen zahm, bei allzu verstörenden Werken könnten wohl auch dem Publikum die Hörgeräte herausfallen.
Gestern gab im Saal der Musikhochschule das allseits beliebte Freiburger Barockorchester mit Gottfried von der Golz als primus inter pares ein sehr statthaftes Konzert mit einer Gegenüberstellung eines jungen Mozart und eines außerordentlich jungen Mendelssohn.

Man begann mit einem Marsch (KV 248) von solchem Ausdruck und Gehalt, daß ich schon nach dem Schlußapplaus mich an keine einzige Note mehr erinnern konnte.
Immerhin war er kurz.

Es folgte das Violinkonzert d-moll des dreizehnjährigen Mendelssohn mit einem gut aufgelegten von der Golz. Mendelssohn kann je nach Interpreten entsetzlich langweilig sein. Nicht so mit den Freiburgern, die, wie es sich für ein gutes Barockorchester gehört, schlank, dynamisch und sehr geschlossen agierten und das Stück in jugendlichem Übermut in den Saal pfefferten.
Das Konzert hat nichts von der leicht kitschigen Süße des bekannteren e-moll-Konzerts. Typisch für den frühen Mendelssohn finden sich ausgedehnte Experimente mit der Formensprache früherer Epochen, ausufernde Solokadenzen und teilweise ein tragikomisches Pathos, als habe jemand dem kleinen Felix sein Schäufelchen geklaut.

Der folgende Mozart war auch durch das ausgezeichnete Kammerensemble nicht mehr zu retten - ein endloses sechssätziges Divertimento (KV 247), das offensichtlich Gebrauchs- und Hintergrundmusik war und im Konzertsaal nicht zu suchen hatte, und auch nicht durch Jugend zu entschuldigen war.
Man hatte ausgiebig Zeit, den frischrenovierten Saal zu beäugen, der hellhölzerne IKEA-Einheitsoptik ähnlich dem Konstanzer Audimax gewagt mit Deckenpanelen und Kristalleuchten aus den Fünfzigern kombinierte. Die Akustik war in den vorderen Reihen ausgezeichnet, leider auch die aus dem Auditorium: muß man sich eigentlich für knarzende Sitze und einen Boden entscheiden, der unter jeder Gummisohle entsetzlich quietscht?

Nach der nicht sonderlich erholsamen Pause im restlos überfüllten Foyer spielte man Mendelssohns Streichersymphonie Nr. 7: wieder frühromantisches Aufbrausen im Wechsel mit hübsch altmeisterlicher Polyphonie, stellenweise allerdings etwas unausgegoren. Trotzdem keine Entschuldigung für die Würzburger, im langsamen Satz wie ein ganzes Sanatorium zu husten und sich besorgt nach dem wechselseitigen Befinden zu erkundigen - das hätten sie allerhöchstens im Divertimento gedurft!

Das letzte Stück des Abends war dann eine doch recht gefällige und runde Mozartsymphonie (KV 129), die uns etwas versöhnte: Klein Felix wurde noch einmal vorgeführt, was eine richtige Mannheimer Walze ist.

Es gab freundlichen Applaus, einen nicht sehr kleidsamen Bocksbeutel für den Herrn Primarius und eine Ehrenrettung für Mozart in der Nachspielzeit: die letzten zwei Sätze aus der allseits beliebten A-Dur Symphonie KV 201, fröhlich beschwingt, und, da laut und deutlich als "ohne Wiederholung" (Finale) deklariert, auch ohne Mißverständnisse im Orchester.

Dienstag, 20. Oktober 2009

Rasant

War es Zufall, dass ich die kompletten Streichquartette von Felix Mendelssohn eingespielt vom Leipziger Streichquartett zum Geburtstag bekomme und das Ensemble knapp zwei Wochen später ins Inselhotel kommt - mit eben diesem Komponisten?


Die CD-Aufnahmen bestechen durch ihre rasant-dramatische Spielweise und so treten die vier relativ jungen Interpreten auch live auf.


Zu Beginn hören wir einen Webern aus dem Jahre 1905, welcher erstaunlich viel Tonalität aufweist. Nach dem langsam Finalsatz sollte jedoch Schluss mit der Ruhe sein. Es folgte das dramatischste, "unversöhnlichste" und düsterste Streichquartett Mendelssohns, was sicherlich größtenteils im Tod seiner Schwester begründet liegt. Es ist sein letztes und in der Tonart f-Moll (op. 80), in seinem und Fanny Hensels Todesjahr (1847), komponierte Streichquartett.

Der Komponist spart hier nicht mit Sätze, die mit Ausnahme des langsamen dritten (Adagio) mit überaus schnellen Bezeichnungen betitelt sind: Allegro vivace assai, Allegro assai und Allegro molto. Diese Angaben wurden vom Leipziger Streichquartett mehr als wörtlich genommen. Dem ersten Satz, wild interpretiert, mangelte es nicht an Dramatik. Er endet nahezu in einer Explosion, welche durch die erste Geige hervorgerufen wird und man erwartet nun eigentlich Entspannung. Aber Mendelssohn ist ganz und gar nicht danach, er steigt in die Dramatik zurück und kommt erst im Trio des zweiten Satzes zu etwas Atem. Das Gefühl wird hier auch sehr realistisch dem Zuhörer vermittelt, welchem schonmal der Atem stehen bleibt. Wie der erste, wird auch der zweite Satz wiederum in einem Wildsau-Tempo* dargeboten und lässt das Publikum vor Spannung erstarren. Der langsame Satz bleibt sehr fließend, verliert aber dadurch nicht seine Andacht. Der Finalsatz dreckig* schnell. Jedes andere Streichquartett wäre danach erschöpft. Das Sharon Quartett beispielsweise spielt alle Sätze in seinen Aufnahmen in etwas mehr als dem halben Tempo. Aber es folgt anschließend noch nicht die Pause!


*Diese Aussage ist durchaus als positiv zu werten.


Jörg Widmann, der nicht viel älter ist als die Mitglieder des Roktetts (geb. 1973) und ein vielschaffender Komponist und Klarinettist ist, schreibt ein Quartett, das sehr auf Effekte bedacht ist. Große Teile des Stückes finden sul ponticello statt, gerne auch mal auf dem Teil der Saiten, der unterhalb des Stegs liegt. Der Bogen darf die Saiten, die den Stachel mit dem Saitenhalter verbinden, zum Erklingen bringen oder auch ein knarzendes Geräusch auf der Rückseite des Instruments erzeugen. Das Stück ist ausgedehnt und enthält so viele extrem stille Momente, dass das Publikum nicht weiß, ob das Stück schon zu Ende ist und gegen Schluss gar ungeduldig wird. Das Stück besteht übrigens aus mindestens genauso viel Schrifttext wie Noten, wie wir am Ende vom Bratschisten gezeigt bekamen.


Der Klang der Leipziger ist sehr "offen", fast als schwebend beschreibbar, eine "barockoide" Spielweise mit wenig vibrato und viel leeren Saiten (auffällig vor allem beim Mendelssohn) - unterstützt durch den Hall des Festsaals im Inselhotel.


In der Pause spekulierten wir, ob der Finalsatz von Beethovens drittem Rasumovsky Quartett wohl seinem Namen alle Ehre machen und die schnellste Version, die wir je hörten, sein wird. In der Tat zum Schluss gar zu schnell für meinen Geschmack, das zu leichter Schlampigkeit in der ersten Geige führte. Trotzdem eine erstaunliche Leistung. Man bemerke, dass ein Cellist im Allgemeinen selten so schnell mit den Fingern über die Saiten sprintet und das mit so viel Präzision.




Am Ende "versöhnten" sie sich mit uns und der Musik mit einem Choral (passend zu Widmanns Choralquartett) von J. S. Bach als Zugabe. Alles in allem ein schöner Abschluss, dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Außer einem Autogramm in unserer CD-Schachtel.

Sonntag, 27. September 2009

"Bei Brahms bleibt es nicht lange gemütlich!"

So sprach in seiner charmanten Einführung der Bratschist des ZKO-Ensembles, das die Zuschauer an diesem Sonntag im an eine Turnhalle erinnernden ZKO-Haus im Zürcher Seefeld nicht nur mit Kaffee und Gipfeli erfreute.
Nach einer Odyssee durch die Stadt - bedingt durch eine sportliche Veranstaltung (wer braucht denn sowas?) im Zentrum - langten wir pünktlich um kurz nach elf in der Seefeldstraße 305 an, wurden sogleich auf Zehenspitzen in den Konzertsaal geleitet, der leicht improvisiert wirkt und klar macht, warum das ZKO in voller Besetzung dann doch lieber in der Tonhalle spielt. Aber das tun auch andere Orchester ganz gern. Da dies aber kein neu-job-bedingtes Lamento über die Zustände im Konzil oder die am Boden zerschellenden Gläser während des Espana-Programms der SWP (oder doch die Wilden?) am vergangenen Freitag werden soll, mit etwas mehr Objektivität zurück zum Thema.
Maurice Ravels Streichquartett haben wir an anderer Stelle schon besser gehört, wenn die Musiker so deutlich rausfliegen, dass selbst ich es nicht überhören kann, liegt einiges im Argen. Der Bratschist etwas unsauber, die erste Geige deutlich nervös (der Bogen hat gezittert, wo er nicht sollte) - teilweise klang es nicht nur chaotisch, sondern richtiggehend schief. Man hatte wohl nicht allzu viel geübt.
Wesentlich besser schien ihnen das Brahms'sche Klavierquintett in f-Moll zu liegen, im dritten Satz gewann das Ensemble deutlich an Schwung hinzu, die Cellistin lächelte ab und zu glücklich.
Nach einer Mendelssohn-Zugabe gab es am Ende doch noch Kaffee und besonders leckere Gipfeli für die zu spät Gekommenen, und dies trotz der Tatsache, dass wir es versäumt hatten, uns mit den allgegenwärtigen Desinfektionsmitteln zu behandeln. Kommentar hierzu an der Wand des vegetarischen Tibits-Restaurants: Bei uns haben Schweine nicht einmal in Form von Grippe etwas verloren!

Montag, 14. September 2009

Welcome to the Jungle

…oder: Wie man die Empathie der Zuhörer erschleicht.

In diesem Sommer gab es für uns eine Fülle an Freiluftmusik, ob zuhörender oder aufführender Weise. Auch wenn die hinreichend kultivierte Natur keine offensichtlichen Gefahren mehr birgt, gibt es für den Musiker immer das Risiko der witterungsbedingten Schönheitsfehler - sei es durch direkte Intervention oder einfach mangelnde Konzentration infolge nicht idealer Spielbedingungen. Nicht, daß das immer unvorteilhaft wäre: kleinere Macken unterhalten das Publikum, das bei Klassik ja nicht immer so viel zu lachen hat.

Ein Paradebeispiel war das Konzert zur Kammeroper, wo die Mezzospranistin in einer halsbrecherischen Koloraturorgie die falsche Abzweigung erwischte und abbrechen mußte. Sie bat mit einem charmanten Lächeln Publikum und Mitstreiter um Verzeihung, es wurde ohne viel Federlesen an einer geeigneten Stelle wieder begonnen, und sie erntete zuerst Gelächter und dann einen Riesenapplaus.
In einer von Regengüssen interpunktierten Aufführung, wo der Chor offensichtlich den Wiederbeginn verschlafen hatte, mußte die gleiche Sängerin vergeblich nach ihrer Leibwache rufen, was sie mit einer improvisierten "Wo sind sie denn?"-Kadenz quittierte -  das Publikum freute sich.

Als Streichquartett haben wir in diesem Sommer zwei Hochzeiten untermalt - beide auf malerischen Terrassen mit Seeblick. Im Juli brach mir vor dem Inselhotel mitten in Bachs Air die A-Saite, an Weiterspielen war nicht zu denken. Der Saitenwechsel wurde vom Bräutigam begeistert photographiert, als ich danach die Saite unter ordentlichem Gejaule etwas vordehnte, wurde ich gebeten, das für die Kinder nochmal zu wiederholen.

Die zweite Hochzeit fand Anfang September auf der Konzilterrasse statt - bei Windstärke vier. Grundsätzlich hat man für solche Fälle Wäscheklammern oder Magneten im Kasten, was aber nicht viel hilft, wenn es mitten im Mozart-Quartett die Notenständer umweht. Wehe dem, der in einer solchen Situation den Fuß vom Notenständerbein nimmt!

Ein Klassiker war auch das Engagement, Schuberts Ave Maria bei einer Taufersatzhandlung unter einem Baum mit der einfühlsamen Begleitung eines Ghettoblasters zu Gehör zu bringen - an einem lauschigen Dezemberabend; in diesem Fall ließen sich die stolzen Eltern dann doch auf eine Kompromißvorstellung im heimischen Wohnzimmer ein. Wer die balsamische Polarluft offensichtlich nicht goutierte, war der Täufling: der Schubert wurde zu einem nicht ganz so komponierten Duett…