Sonntag, 2. Mai 2010

Rudi jazzt Beethoven mit den Wilden

Ohne romantisches Gesülze und mit viel Energie schmettert Rudolph Buchbinder alle fünf Klavierkonzerte an zwei Abenden vor die Ohren der Konstanzer zusammen mit der Südwestdeutschen Philharmonie. Zusätzlich hatte er die Leitung (O-Ton zum Orchester: "Ich bin kein Dirigent!") des Konzertes [Nr. 2, 3, 4 (Sa.) und Nr. 1, 5 (So.)].


Buchbinder überzeugt durch seine "aromantische" (nicht aromatische!) Spielweise, die vielleicht eine Art repräsentiert, wie Beethoven auch gespielt haben mag. Sehr wuchtige Akkorde, die für Sensible vielleicht zu geschlagen klingen, dafür entschädigt er mit hauchzarten Melodien an lyrischen Stellen.

Er unterbricht das Orchester in der Generalprobe für die Nummern 1 und 5 nur einmal und zwar im Rondo des C-Dur Konzertes, kurz nach dem "Jazz"-Thema (erstes Klavierthema nach dem zweiten mal Thema A im Orchester, siehe Abbildung*).



Daraufhin spielt er den Anfang der "Mondschein-Sonate" und verjazzt diese, dann das gleiche mit dem Anfang von Schumanns Klavierkonzert. Er gibt Anweisungen an das Orchester und sie beginnen noch einmal an der Stelle. Man möchte synkopisch mit schnippen, wenn man das hört!

Den selben Effekt erzielt er im Finalsatz des Es-Dur Konzerts in der B-Dur Stelle (siehe Abbildung*). Eine solche Artikulation, wie Buchbinder sie ausübt, ist eindeutig an Jazz angelehnt.



Ingesamt spielt Buchbinder mit viel Brillanz und wenig Brimborium, das heißt wenig affektierte Bewegungen und Romantifizierungen. Trotz seiner Aufgabe als Dirigent strahlt er eine unglaubliche Ruhe und Sicherheit aus und schafft eine besonders effiziente Art der Kommunikation mit dem Orchester.

Alles in allem ein sehr bereicherndes Konzert und der sympathische Herr, der am Ende der Konzerte auch signierte, bekam stehende Ovationen vom Gros des Publikums!


*Quelle: http:/IMSLP.org

Dienstag, 22. Dezember 2009

Streckenweise geruhsam

Ach, Ihr lieben Würzburger! Müßt Ihr Euch zum Husten, Schwatzen und Türenknallen ausgerechnet den Variationensatz des Kaiserquartetts aussuchen!
Insbesondere, da er vom Leipziger Streichquartett ausgesprochen schön musiziert wurde: schlank und gläsern, dadurch gelegentlich fast dissonant, ohne falsch zu sein - bewegt, aber nicht hastig.
Alles in allem war die an diesem Ort vielfach beschworene Rasanz wohldosiert eingesetzt: meist nur ein einzelner virtuoser Satz, typischerweise das Finale, ansonsten waren die Tempi geerdet, und fühlten sich schlicht richtig an, dem Charakter des Einzelsatzes angemessen.
Neben dem Haydn standen noch Mendelssohn op. 13 und Schumann op. 41/3 auf dem Programm, was auf den ersten Blick gefällig und nicht sehr ausgesucht wirkte. Es spricht für die Leipziger, wie sie die Bezüge zwischen den Stücken in Szene setzten: im Haydn schlugen sie mit fast Beethovenscher Dynamik einen Bogen in Richtung Romantik, die Finalreminiszenz aus dem Kopfsatz im Mendelssohn klang nach Schumanns Kunstgriffen, während die punktierten Geigenfiguren und bordunähnlichen Bässe in Schumanns Finale zu Haydn zurückführten.

Überhaupt der Schumann: Schumanns Quartette machen es dem Hörer nicht leicht, man verliert gerne den Überblick über die Satzstruktur und wünscht sich generell einen roten Faden in all dem romantischen Überschwang. Nicht, daß Schumanns ausladendes Werk, das die ganze 2. Hälfte füllte, bei den Leipzigern methodisch geklungen hätte; der Zuhörer ließ nur das Programmheft sinken, staunte und genoß: die symphonische Klangfülle, die im Haydn gottseidank und im Mendelssohn leider noch ein bißchen fehlte, die himmlischen Längen im langsamen Satz.

"Eigentlich hatten wir an dieser Stelle einen weihnachtlichen Choral vorbereitet, aber ich habe die Noten vergessen. Also spielen wir etwas, was Sie vielleicht schon von uns kennen..."

Immerhin verstand das Publikum, daß dieser schlicht-bewegenden Zugabe nun wirklich nichts hinzuzufügen war, man applaudierte dezent und ging.

PS: Ich höre die Herren im Februar in der Carnegie Hall.

Kampfknutschen im Hochhaus

Heute wieder bei Arte im Programm: Oper an unwirtlichen Orten. Das Stadttheater Bern will nicht hinter Zürich zurückstehen und produziert La Bohème en banlieue.
Alles in allem handelte es sich um ein sehr ordentliches Schweizer Hochhaus, mit gediegenem Waschkeller, Panoramafenstern und Vorgarten. Hätte man das Stück in der Pariser Banlieue oder in der Platte gespielt, wäre die Inszenierung vielleicht doch durch den gelegentlichen spontanen Pflasterstein oder einen dezenten Molotovcocktail aufgepeppt worden, hier gab es höflichen Applaus, und Hausbewohner, die den Sängern brav die Fertigpizza in den Kühlschrank räumten. Der einsame Graffitti-tag an der Betonwand wirkt, als habe man ihn extra für die Oper aufsprühen lassen. Für das Einkaufszentrum im 2. Akt zeichnete übrigens Daniel Libeskind verantwortlich.

Rodolfo beim ungelenken Grimassenschneiden während Mi chiamano Mimì zuzuschauen, war amüsant (selten so gelacht bei der Arie), offensichtlich war das Stück seiner Libido deutlich zu lang, sie gingen sich auch relativ unverzüglich an die  -äh-  Oberbekleidung. Man bot alles in allem eine solide Sängerleistung, insbesondere in den beiden letzten Akten. Könnte sein, daß sich das gute Berner Stadttheater da etwas aufgepeppt hat…

Insgesamt schien das Konzept nicht schlecht aufzugehen, vielleicht auch, weil es trotz Liveeinspielung mit gut koordinierter Zuschauerbeteiligung so offensichtlich ein Fernsehfilm war, bei dem anständiges Regietheater dem technischen Aufwand vorgezogen wurde. Zwischendurch wurden bodenständige Anwohner und niedliche Kinder mit Zahnlücken interviewt, um die Umbaupausen zu überbrücken, das war zum Teil etwas schmerzhaft. 
In der Mall war das Orchester vor McDoof postiert, praktisch, dann kann man seine McNuggets schon während der Oper organisieren und muß nicht immer an den Konstanzer Bahnhof fahren.
Der Bus, der die tote Mimi wegfährt ("Endstation", haben die unser Blog gelesen?),  ist ordentlich-umweltbewußt mit Biogas betrieben. Manchmal muß man die Schweiz einfach lieben.

Montag, 7. Dezember 2009

München ist auch nicht schlecht

Wer in der Provinz wohnt, muß sich zu helfen wissen. Gut, wenn man aus alten Zeiten noch haufenweise kulturbeflissene Freunde in diversen Großstädten mit ausreichend Gästesofas hat. Am letzten Donnerstag fanden wir uns also im Münchner Herkulessaal zum Stelldichein mit dem BR-Orchester unter David Robertson und Vadim Repin ein. Das Programm war tendenziell ohrenfreundlich, aber doch mutiger als die ewige Würzburger Mozart-Mendelssohn-Leier: das Brahms-Konzert op. 77, in der zweiten Hälfte dann Ravels Valses nobles et sentimentales und Skrjabins Poème de l'extase.
Auf die Gefahr hin, als analfixierter Akustiker verschrien zu sein, erst zum Saal: Trotz der sehr ähnlichen Bauweise hat mich der Herkulessaal deutlich mehr überzeugt als der große Saal der Tonhalle: Auf der Galerie, Mitte links, relativ nah an den ersten Geigen, war der Klang ausgeglichen und transparent, dabei aber durchaus nicht trocken. Die Höhen waren freilich ziemlich schrill. Schade um die lyrischen Partien im Brahms.
Der ist  jedem Zuhörer sattsam bekannt - im Konzert hatte ich ihn allerdings noch nicht gehört. Die Interpretation war durchaus sportlich, insbesondere im rubatofreien Einstieg der Sologeige im ersten Satz. Repin, der nur am Anfang noch etwas schlampte, beeindruckte in der virtuosen Attacke, die lyrischen Passagen waren mir persönlich etwas zu offen, zu wenig intim. Vielleicht störten da auch die spitz übertragenen Höhen.
Mitreißend war das Rondo: da stolperten die Synkopen und rhythmischen Schiebungen in den tanzenden Dreiachteltakt, daß es eine Freude war, kleine Details wie die Streicherschnulpen in der Stretta bekamen gestaltende Kraft und Repins fröhlich-kräftiges Zupacken sorgte für Spaß auf und vor der Bühne.
Nach der Pause machten sie mit Ravel etwas gedämpfter weiter. Das aufgestockte Orchester glänzte jetzt solistisch und spielte wacker und nicht allzu sentimental, aber zum Walzer hätte man sich an dieser Stelle, wenn nicht Kaffee und Sachertorte, doch grünen Tee und ein, zwei Petit fours zur Stärkung gewünscht.
Inzwischen war es auf dem Podium gehörig voll, inklusive 8 Hörnern, Baßtuba, Kontrafagott, Celesta, Glocke, und man produzierte gekonnt Extase.
Schlußapplaus. Zwei Eindrücke: Mann, das war mal richtig laut. Kriegen wir das nochmal langsam zum Mitschreiben?

Dienstag, 10. November 2009

Mendelssohn - Mozart 1:0

Das Freiburger Barockorchester in Würzburg

Man sollte ja nicht meinen, es gäbe im tiefen Frankenland keine Kultur. Allerdings ist das Programm der Würzburger "Meisterkonzerte" ausgesprochen zahm, bei allzu verstörenden Werken könnten wohl auch dem Publikum die Hörgeräte herausfallen.
Gestern gab im Saal der Musikhochschule das allseits beliebte Freiburger Barockorchester mit Gottfried von der Golz als primus inter pares ein sehr statthaftes Konzert mit einer Gegenüberstellung eines jungen Mozart und eines außerordentlich jungen Mendelssohn.

Man begann mit einem Marsch (KV 248) von solchem Ausdruck und Gehalt, daß ich schon nach dem Schlußapplaus mich an keine einzige Note mehr erinnern konnte.
Immerhin war er kurz.

Es folgte das Violinkonzert d-moll des dreizehnjährigen Mendelssohn mit einem gut aufgelegten von der Golz. Mendelssohn kann je nach Interpreten entsetzlich langweilig sein. Nicht so mit den Freiburgern, die, wie es sich für ein gutes Barockorchester gehört, schlank, dynamisch und sehr geschlossen agierten und das Stück in jugendlichem Übermut in den Saal pfefferten.
Das Konzert hat nichts von der leicht kitschigen Süße des bekannteren e-moll-Konzerts. Typisch für den frühen Mendelssohn finden sich ausgedehnte Experimente mit der Formensprache früherer Epochen, ausufernde Solokadenzen und teilweise ein tragikomisches Pathos, als habe jemand dem kleinen Felix sein Schäufelchen geklaut.

Der folgende Mozart war auch durch das ausgezeichnete Kammerensemble nicht mehr zu retten - ein endloses sechssätziges Divertimento (KV 247), das offensichtlich Gebrauchs- und Hintergrundmusik war und im Konzertsaal nicht zu suchen hatte, und auch nicht durch Jugend zu entschuldigen war.
Man hatte ausgiebig Zeit, den frischrenovierten Saal zu beäugen, der hellhölzerne IKEA-Einheitsoptik ähnlich dem Konstanzer Audimax gewagt mit Deckenpanelen und Kristalleuchten aus den Fünfzigern kombinierte. Die Akustik war in den vorderen Reihen ausgezeichnet, leider auch die aus dem Auditorium: muß man sich eigentlich für knarzende Sitze und einen Boden entscheiden, der unter jeder Gummisohle entsetzlich quietscht?

Nach der nicht sonderlich erholsamen Pause im restlos überfüllten Foyer spielte man Mendelssohns Streichersymphonie Nr. 7: wieder frühromantisches Aufbrausen im Wechsel mit hübsch altmeisterlicher Polyphonie, stellenweise allerdings etwas unausgegoren. Trotzdem keine Entschuldigung für die Würzburger, im langsamen Satz wie ein ganzes Sanatorium zu husten und sich besorgt nach dem wechselseitigen Befinden zu erkundigen - das hätten sie allerhöchstens im Divertimento gedurft!

Das letzte Stück des Abends war dann eine doch recht gefällige und runde Mozartsymphonie (KV 129), die uns etwas versöhnte: Klein Felix wurde noch einmal vorgeführt, was eine richtige Mannheimer Walze ist.

Es gab freundlichen Applaus, einen nicht sehr kleidsamen Bocksbeutel für den Herrn Primarius und eine Ehrenrettung für Mozart in der Nachspielzeit: die letzten zwei Sätze aus der allseits beliebten A-Dur Symphonie KV 201, fröhlich beschwingt, und, da laut und deutlich als "ohne Wiederholung" (Finale) deklariert, auch ohne Mißverständnisse im Orchester.