Sonntag, 27. September 2009

"Bei Brahms bleibt es nicht lange gemütlich!"

So sprach in seiner charmanten Einführung der Bratschist des ZKO-Ensembles, das die Zuschauer an diesem Sonntag im an eine Turnhalle erinnernden ZKO-Haus im Zürcher Seefeld nicht nur mit Kaffee und Gipfeli erfreute.
Nach einer Odyssee durch die Stadt - bedingt durch eine sportliche Veranstaltung (wer braucht denn sowas?) im Zentrum - langten wir pünktlich um kurz nach elf in der Seefeldstraße 305 an, wurden sogleich auf Zehenspitzen in den Konzertsaal geleitet, der leicht improvisiert wirkt und klar macht, warum das ZKO in voller Besetzung dann doch lieber in der Tonhalle spielt. Aber das tun auch andere Orchester ganz gern. Da dies aber kein neu-job-bedingtes Lamento über die Zustände im Konzil oder die am Boden zerschellenden Gläser während des Espana-Programms der SWP (oder doch die Wilden?) am vergangenen Freitag werden soll, mit etwas mehr Objektivität zurück zum Thema.
Maurice Ravels Streichquartett haben wir an anderer Stelle schon besser gehört, wenn die Musiker so deutlich rausfliegen, dass selbst ich es nicht überhören kann, liegt einiges im Argen. Der Bratschist etwas unsauber, die erste Geige deutlich nervös (der Bogen hat gezittert, wo er nicht sollte) - teilweise klang es nicht nur chaotisch, sondern richtiggehend schief. Man hatte wohl nicht allzu viel geübt.
Wesentlich besser schien ihnen das Brahms'sche Klavierquintett in f-Moll zu liegen, im dritten Satz gewann das Ensemble deutlich an Schwung hinzu, die Cellistin lächelte ab und zu glücklich.
Nach einer Mendelssohn-Zugabe gab es am Ende doch noch Kaffee und besonders leckere Gipfeli für die zu spät Gekommenen, und dies trotz der Tatsache, dass wir es versäumt hatten, uns mit den allgegenwärtigen Desinfektionsmitteln zu behandeln. Kommentar hierzu an der Wand des vegetarischen Tibits-Restaurants: Bei uns haben Schweine nicht einmal in Form von Grippe etwas verloren!

Montag, 14. September 2009

Welcome to the Jungle

…oder: Wie man die Empathie der Zuhörer erschleicht.

In diesem Sommer gab es für uns eine Fülle an Freiluftmusik, ob zuhörender oder aufführender Weise. Auch wenn die hinreichend kultivierte Natur keine offensichtlichen Gefahren mehr birgt, gibt es für den Musiker immer das Risiko der witterungsbedingten Schönheitsfehler - sei es durch direkte Intervention oder einfach mangelnde Konzentration infolge nicht idealer Spielbedingungen. Nicht, daß das immer unvorteilhaft wäre: kleinere Macken unterhalten das Publikum, das bei Klassik ja nicht immer so viel zu lachen hat.

Ein Paradebeispiel war das Konzert zur Kammeroper, wo die Mezzospranistin in einer halsbrecherischen Koloraturorgie die falsche Abzweigung erwischte und abbrechen mußte. Sie bat mit einem charmanten Lächeln Publikum und Mitstreiter um Verzeihung, es wurde ohne viel Federlesen an einer geeigneten Stelle wieder begonnen, und sie erntete zuerst Gelächter und dann einen Riesenapplaus.
In einer von Regengüssen interpunktierten Aufführung, wo der Chor offensichtlich den Wiederbeginn verschlafen hatte, mußte die gleiche Sängerin vergeblich nach ihrer Leibwache rufen, was sie mit einer improvisierten "Wo sind sie denn?"-Kadenz quittierte -  das Publikum freute sich.

Als Streichquartett haben wir in diesem Sommer zwei Hochzeiten untermalt - beide auf malerischen Terrassen mit Seeblick. Im Juli brach mir vor dem Inselhotel mitten in Bachs Air die A-Saite, an Weiterspielen war nicht zu denken. Der Saitenwechsel wurde vom Bräutigam begeistert photographiert, als ich danach die Saite unter ordentlichem Gejaule etwas vordehnte, wurde ich gebeten, das für die Kinder nochmal zu wiederholen.

Die zweite Hochzeit fand Anfang September auf der Konzilterrasse statt - bei Windstärke vier. Grundsätzlich hat man für solche Fälle Wäscheklammern oder Magneten im Kasten, was aber nicht viel hilft, wenn es mitten im Mozart-Quartett die Notenständer umweht. Wehe dem, der in einer solchen Situation den Fuß vom Notenständerbein nimmt!

Ein Klassiker war auch das Engagement, Schuberts Ave Maria bei einer Taufersatzhandlung unter einem Baum mit der einfühlsamen Begleitung eines Ghettoblasters zu Gehör zu bringen - an einem lauschigen Dezemberabend; in diesem Fall ließen sich die stolzen Eltern dann doch auf eine Kompromißvorstellung im heimischen Wohnzimmer ein. Wer die balsamische Polarluft offensichtlich nicht goutierte, war der Täufling: der Schubert wurde zu einem nicht ganz so komponierten Duett…

Samstag, 29. August 2009

Ritorna a noi la calma - Serse mit ein bisschen Xerxes und vielen Stühlen im Konstanzer Rathaushof, 22. August 2009



Viele Stühle, auf und vor der Bühne, ein kleiner Bonsai, bei dem man sich nicht wundert, dass ombra mai fu, und ganz wichtig unsere beiden Stühle direkt in der Auftrittschneise von Sängern und Orchester. Im Innenhof des Konstanzer Rathauses fühlt man sich auf Anhieb wohl, eine wunderbare Atmosphäre mit assai ombra für eine gelunge Opernsommernacht - und überraschend viel Ruhe, einzig ein paar Glöckchen und der Güterzug um 22:04 Uhr haben ein wenig vom Bühnengeschehen abgelenkt.

Und da war eine Menge los, auf der Bühne. Vorneweg muss an dieser Stelle gesagt werden, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Händeloper nicht gelangweilt habe; das lag nicht nur daran, dass der Maestro Peter Bauer das Stück um eine knappe Stunde erleichtert hatte, sondern auch an der auf - und abtrittreichen Personenregie und am frischen Musizieren von Sängern und Orchester. Für den Großteil des Publikums sicher wichtig waren deutsche Rezitative als Handlungsstrang zwischen italienischer Arienseeligkeit, denen man nur in den seltensten Fällen anmerkte, dass sie artifiziert wurden.

Annette Wolf ließ in der Ausstattung von Jochen Diederichs ein großes Stühlerücken veranstalten, was dem Inhalt der Oper - der mich immer noch an eine typische Daily Soap gemahnt - relativ gut steht - ob es nun immer ganz der dargestellten Theatralik und Plastizität bedurft hätte, nun gut das ist Geschmacksache, mir hat es größtenteils gefallen. Amastris darf den Bonsai des untreuen Xerxes zerfetzen, Atalanta ist ein Vamp mit einer Fick-mich-Palme auf dem Kopf und Romilda ein scheues blondes Rehlein. Rein dramaturgisch war es geschickt Elviro, den Sklaven, und die umtriebige Atalanta als Buffo-Duo dem Seria-Quartett aus Xerxes - Amastris und Arsamene - Romilda gegenüberzustellen. Warum Ariodate am Ende seine eigene Tochter angraben muss, verstehe ich nicht, aber vielleicht habe ich das ja auch nur wieder mal in den falschen Hals gekriegt.

Das Sängerensemble wirkte in toto sehr harmonisch - besonders heraus stach die Romilda von Sirkka Lampimäki. Eine glockenreine Stimme, die seit dem Konzert des IOS Zürich im Jahr 2002 deutlich an Contour gewonnen hat, abzuwarten bleibt, ob die Stimme den Angriffen des Ensembleterrors der Helsinki Opera gewachsen ist. Beste Voraussetzungen hätte sie: Saubere Technik, minimale Registerschwierigkeiten. Dazu kommt, dass die blonde Finnin sich wunderbar in das Regiekonzept einfügte.
Das gilt auch für Camilla de Falleiro als Atalanta; sie pogt und fetzt über die Bühne wie ein Tier und ist der Clown der Aufführung - der Gesang hatte darunter freilich nicht zu leiden, zumal man ihr anmerkte, dass sie der barocken Stimmkultur eher verbunden ist. Auch hier eine sehr reine Stimme, die durchaus noch im Wachsen begriffen ist; was man ihr vorwerfen kann sind bisweilen kleine Intonationshänger in raschen Koloraturketten, aber das ist ab einem bestimmten Tempo nicht verwunderlich und schadet dem Hörvergnügen kaum.
Stephanie Firnkes Amastris wirkt anfangs etwas blässlich, gewinnt im Laufe des Abends aber stark an stimmlicher Sicherheit und Farbe. Klang vieles zunächst etwas bemüht, fand sie zu einer Geläufigkeit, die ich ihr nach den Eindrücken der Bamberger Sommeroper (hat sie da im Abschlusskonzert nicht die Carmen gegeben?) nicht zugetraut hätte, ihr sozusagen ein ganz anderes Gesicht verlieh.
Eberhard Bendel gab eine soliden Ariodate mit einer Neigung zum hupenden Untersteuern, das bisweilen etwas an die Katamarane 400m entfernt erinnerte, für größere Rollen fehlt es der Stimme wohl etwas an Kern; erschwerend muss ich aber zugestehen, dass die Partie undankbar im Zwischenregister liegt. Alejandro Larraga Schleske singt den Elviro mit sehr viel Jugendlichkeit und Singfreude, bisweilen merkt man der Einbettung der Stimme ihre noch mangelnde technische Fürsorge an, die Stimme ist noch nicht sonderlich dicht, aber bei einem 24-Jährigen kann man das auch schlecht erwarten; in den lustigen Nibelungen in Zürich (IOS) hat er mir als Giselher fast ebenso gut gefallen wie als blumenspendender Diener Arsamenes.

Die beiden Antipoden der Oper waren traditionell besetzt: Arsamene mit dem Counter Florian Mayr, der die in meinen Augen mangelnde Eignung des männlichen Stimmorganes für ein Höhentuning ohne vorherige Änderungen im Kehlkopfbereich vorführte. So sehr Arsamene sich bei Annette Wolf als kastrates Weichei aufspielen darf - muss er auch so klingen? Die Attacke in der höheren Lage wird da schnell zu einem kurzen Kreischen, das nicht nur an eine haltende U-Bahn erinnert, sondern die Tonhöhe auch mehr nach dem Schrohtflintenprinzip auslotet. Wenn man der Stimme Mayrs Zeit lässt, kann er seine Gestaltungsfähigkeit ausspielen und es macht durchaus Freude, ihm zuzuhören. Die Stimme ist nicht groß und auch nicht voll, sondern hat mehr eine staubige Helligkeit, die aber beeindruckendes Gestaltungspotential bietet.
Einen denkbar schlechten Start erwischte leider Kathrin Koch als Xerxes, das schattige "O" geriet ihr im Schlager der Oper als erste Ariennote einen kappen Halbton zu tief, leider hatte sie ihn so weit in der Stütze, das eine Korrektur nicht mehr möglich war. Ob dies nun an der nicht optimalen Vernehmbarkeit des Orchesters auf der Bühne lag oder nicht - Xerxes schien lange Zeit etwas geschockt und blieb blässlich; im Laufe des Abends begann er/sie aber sich freizulaufen und fand sich anfangs mit Mühe, dann mit spielerischer Leichtigkeit an seinem Platz unter dem Bonsai ein; auch wenn Kochs Stimme wenige strahlende Härte hat, sondern sehr viel Menschlichkeit, gelang ein furioses "Crude furie", das einen zum Ende der Oper noch einmal richtig aus dem Sitz hob.

Der Chor war barock ausgedünnt und klang - auf den Seitenplätzen - etwas dürr, aber für die kleine Bühne und die kugelige Akkustik im Rathaushof war das auch ausreichend.

Am Pult des kleinen Orchesters tat Peter Bauer gewohnt tempoaffin, schwungvoll und routiniert seinen Dienst. Barocke Fröhlichkeit mit heftigen Hab-Acht-Momenten gab der Partitur das zurück, was so viele Barockdirigenten ihr durch schauckeliges, ausdrucksloses Geschrubbe rauben: Opernhaftigkeit. Das Orchester rollte sich mit beachtlicher Präzision durch die händelschen Tonschlangen und vermochte es unter den Händen des Maestros, dem nicht immer abwechslungsreichen Musikgeschehen eine Leichtigkeit abzuringen, die einen mit vielen entsetzlich langen und langweiligen Händel-Abenden in den Opernhäusern dieser Welt aussöhnte.

Bleibt zum Schluss den Maestro und sein ganzes Ensemble zu einem wirklich schönen Abend zu beglückwünschen, den man so gerne in Erinnerung behalten wird. Was brauchen wir Salzburg, wenn wir Konstanz haben?

Donnerstag, 23. Juli 2009

Konzertsaison 2009/2010

Die Highlights der nächsten Saison aus den Programmen der Schubertiade Hohenems, des Orchesters St. Gallen, der Südwestdeutschen sowie der Tonhalle und des Zürcher Kammerorchesters.
Die aufgeführten Preise sind jeweils die der günstigsten Kategorie (damit wir mehr Konzerte besuchen können).

Guckt es euch an, ich würde dann das Karten organisieren übernehmen, außer jemand will das unbedingt machen ;-)

Ab 20. August bin ich in Griechenland, die Karten für die Konzerte dieses Jahr würde ich gerne davor bestellen, Uchida, Perahia und Co. sind sicher sehr schnell ausverkauft.

Außerdem gibt es noch ein paar Terminkollisionen, die höchst problematisch sind, vielleicht sollten wir im Mai allesamt in Kultururlaub gehen.

27. September 2009: Matinée im ZKO-Haus - Ravel Quartett/Brahms Klavierquintett f-Moll - 40 Franken incl. Kaffee und Gipfeli.

2. Oktober 2009: Heinrich Schiff/Hanna & Bruno Weinmeister/Südwestdeutsche Philharmonie - Schubert "Unvollendete"/Brahms-Doppelkonzert.

4. Oktober 2009: Mitglieder des Tonhalle Orchesters - Brahms-Streichsextett Nr. 1/Mendelssohn-Oktett - 25 Franken.

21./22./23. Oktober 2009: Tonhalle Orchester & Mitsuko Uchida - Beethoven Klavierkonzert Nr. 2 & Mahler 5. Symphonie - 25/40 Franken.

21./22./23. Oktober 2009: Mona Asuka Ott/Südwestdeutsche Philharmonie - Chopin Klavierkonzert Nr. 1/Strawinsky "Feuervogel".

18./20. November: Lilya Zilberstein/Südwestdeutsche Philharmonie - Ravel Klavierkonzert G-Dur/Dvorak Symphonie Nr. 8 "Englische".

5. Dezember 2009: Gidon Kremer u.a. - Mahler Klavierquartett a-Moll/Brahms Quartett c-Moll/Schnittke Streichtrio - 16 Franken.

9./10./11. Dezember 2009: Tonhalle Orchester & Murray Perahia unter Bernhard Haitink - Mozart Klavierkonzert Nr. 24 c-Moll/Beethoven Patorale - 25 Franken.

26. Januar 2010: New York Philharmonic & Yefim Bronfman in der Tonhalle - Prokofiev Klavierkonzert Nr. 2/Rachmaninov 2. Symphonie - 25 Franken.

29. Januar 2010 - St. Galler Meisterzyklus-Konzert - Schostakowitsch Quartette 1 & 8/Schnittke Nr. 3/Beethoven op. 133 - 16/32 Franken.

20./21. Februar 2010: Rudolf Buchbinder/Südwestdeutsche spielen Beethoven - alle Klavierkonzerte an zwei Abenden.

21. März 2010: ZKO-Matinée - Schostakowitsch Quartett Nr. 12/Beethoven Rasumovsky Nr. 3 - 40 Franken incl. Kaffee und Gipfeli.

24./26. März 2010: George Lazaridis/Südwestdeutsche - Strauß "Tod und Verklärung"/Brahms Klavierkonzert Nr. 2.

30. März 2010: Viviane Hagner & ZKO - Schubert Rosamunde/Mozart Violinkonzert Nr. 4/Schönberg "Verklärte Nacht" - 16 Franken.

14. April 2010: Tonhalle Orchester - Brahms 1. & 2. Symphonie - 25 Franken.

15. April 2010: Tonhalle Orchester - Brahms 3. & 4. Symphonie - 25 Franken.

5./6./7. Mai 2010: Tonhalle Orchester & Radu Lupu - Widmann Lied für Orchester/Schumann Klavierkonzert/Schostakowitsch 6. Symphonie - 25 Franken.

7. Mai 2010: Meisterzyklus-Konzert St. Gallen - Jonathan Gilad/Viviane Hagner/Daniel Müller-Schott - Klaviertrios Beethoven Nr. 1/Mendelssohn Nr.2/Schubert Es-Dur - 16/32 Franken.

8. Mai 2010: Lauma Skride/Südwestdeutsche - Chopin Klavierkonzert Nr. 2/Schumann Symphonie Nr. 2.

10. Mai 2010: Pavel Haas Quartett/Danjulo Ishizaka - Dvorak "Amerikanisches"/Schubert-Quintett - 35 Euro (Schubertiade).

15. Mai 2010: Kopatchinskaja/Gabetta/Sigfridsson - Haydn Zigeunertrio/Vasks/Schumann Klaviertrio Nr. 2 - 35 Euro (Schubertiade).

16. Mai 2010: Yaara Tal/Andreas Groethuysen - u.a. Brahms Klavierkonzert Nr. 1 für vier Hände (!) - 35 Euro (Schubertiade).

8. Juni 2010: Fazil Say/ZKO - Mendelssohn "Melusine"/Bach Klavierkonzert Nr. 1/Strawinsky Konzert in Es-Dur/Saint-Saens Klavierkonzert Nr. 2 - 16 Franken.

20. Juni 2010: Quarteto Casals - Smetana "Aus meinem Leben"/Schubert "Der Tod und das Mädchen" - 35 Euro (Schubertiade).

19./22./23. Juni 2010: ZKO - Schostakowitsch Streichersymphonie As-Dur/Schubert Rondo für Violine und Streichorchester/"Der Tod und das Mädchen" in der Fassung für Streichorchester von Mahler - 58 Franken.

29. August 2010: Hagen Quartett - Schubert "Rosamunde"/Webern Quartettsatz/Grieg g-Moll - 39 Euro (frühzeitige Reservierung notwendig, in Hohenems ist alles extrem schnell ausverkauft).

Freitag, 3. Juli 2009

Siamesische Zwillinge am 17. Juni in Zürich

Gegen widrige Bedingungen kämpften wir, gegen Stau, Fieber, Schüttelfrost und nach allerlei Unappetitlichem riechenden Schweizerinnen auf dem Nebensitz - aber es hat sich gelohnt!
In einer hübschen, im Ganzen unauffälligen Inszenierung (Grischa Assagaroff) wurden in Zürich die siamesischen Zwillinge des Verismo vorgeführt: Mascangnis Cavaleria Rusticana und Leoncavallos I Pagliacci, in deutschen Breiten auch als "Der Bajazzo" bekannt.
In der ersten Hälfte zog einen die Santuzza von Paoletta Marrocu so sehr in den Bann, dass man Turiddu gar nicht verstehen kann, dass er die etwas blässliche Lola (Liliana Nikiteanu) lieber beleibt und beliebt - wo sie zwar ganz ordentlich, aber doch gar nicht "assai piu bella" sang; Marrocu sang mit einem warmen, fließenden und vollen Fluten, das einen eine der Stimmlage nach "höhere" Besetzung ideal erscheinen lässt - ich habe das so noch nie gehört, was heißen soll: so technisch gut und so unglaublich ergreifend habe ich das noch nie gehört. Da stört das kläffende Stentoreinlagengehabe von Cheyenne Davidson als Alfio kaum, und Mamma Lucia ist eine Rolle, die den sängerischen Fähigkeiten von Irene Friedli abgemessen ist.
Ebenbürtig neben Maroccu stand als Bindegleid zwischen den Zwillingen Jose Cura: Sein Turiddu überzeugt durch eine für ihn untypisch präzise Stimmführung, Artikulation und Intonation, dass man sich fragen muss: Warum nicht immer so? Es zahlt sich offenbar aus, dass Cura seine Stimme nicht durch 60 Abende im Jahr quält, sondern sich auf 25 beschränkt. Und: Den Turiddu kann er, ihn hat er einstudiert - so kann man seinen Gesang auch außerhalb der "Gassenhauer" genießen. All das gilt in gleichem Umfang auch für seine Interpratation des Canio in Leoncavallos Eifersuchtsgeschichte: Er legt diese Rolle anderst an als die des Turiddu, verblüffend, welche Unterschiede er zu erzeugen weiß! Und: Wenn er muss, kann er hintergründig werden, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen, ohne die Grenzen des Schöngesangs zu sprengen. Auch hier zahlt sich eine Stimmreifung aus, die gerade im Vergleich zum Decca-Bajazzo frappant ist.
Als Nedda steht im Fiorenza Cedolins zur Seite, die eine etwas gealterte Nedda singt und an den Canio nicht herankommt. Hier und da etwas Rotz im Register, die Stütze wackelig und im Piano am dem G doch ein ziemliches Flackern in der Stimme, in toto aber trotzdem so gut, dass der Eindruck des Abends nicht gestört werden kann.
Carlo Guelfi als Tonio ist auch dämonisch, sein Prologo ist ein Höhepunkt des Abends. Eine sicher geführte, nicht sehr große, aber wunderbar dichte Baritonstimme - wir alle erinnern uns gerne an Giorgio Zancanaro, und sagen uns: Herr Guelfi ist auf dem richtigen Weg.
Solide aber mehr auf Ensembleniveau bewegt sich Gabriel Bermudez Silvio, ein Piano ist nur unter knödelndem Quetschen möglich und: Man kann hohe Töne auch leise singen und vor allem mit der richtigen Tonhöhe. Geschieht im Recht, dass er am Schluss erstochen wird. Also Silvio, nicht Bermudez.
Wie immer absolute Weltklasse der Pepe von Boiko Zvetanov, der an Lautstärke immer noch alle Bühnenteilnehmer übertrifft, ebenso an Körperfülle - belassen wir es bei diesen Aussagen.

Am Pult agierte Stefano Ranzani im Ganzen überaus glücklich, der Kontakt zur Bühne war vorbildlich, da wird niemand gehetzt und gedrängt, oder gar ausgehungert: Völlig orgnanisches, gemeinsames Musizieren - man merkt eben doch, wer Operndirigent ist und den Text mitsprechen kann. Auch das war in Zürich in letzter Zeit nicht immer selbstverständlich (mit hoffnungsvollem Blick auf Fabio Luisi).
Der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor sang ordentlich und bekam diesesmal die Fuge am Beginn der Pagliacci sogar auf die Reihe, ohne über die eigenen Füße zu stolpern.

Wir konnten die Oper gut durchgenässt und mit leichten Vergasungserscheinungen verlassen. Wie gut, dass die Klimaanlage überholt werden soll.
(Für mehr Informationen bitte: http://opernhaustv.eviscomedia.com/media.1007.html )